Wenn die meisten Menschen das Wort „Saufwein“ hören, denken sie wahrscheinlich an halbtrockenen Kerner auf dem Weinfest um die Ecke oder an jene Rosés, die man in Rheinhessen und der Pfalz für die kulinarische Massenvernichtungswaffe namens „Persching“ nimmt. Die Avantgarde mag’s lieber französisch: „Vin de Soif“ klingt einfach elegant, sophisticated und weniger nach Billo-Merlot von der Tanke. Aber was macht denn eigentlich so einen „Vin de Soif“ oder auf Deutsch „Durstwein“ aus?
In der französischen Zeitung Le Monde steht sinngemäß:
„Vin de Soif“ ist fruchtig, unkompliziert, zugänglich für alle Gaumen und Geldbeutel. Als Aperitif oder einfach zur Freude am „durststillenden Teilen“.
So weit, so gut. Wenn ich das lese, bin ich aber gedanklich noch nicht ganz bei der Art Wein, an die ich bei dieser Kategorie denke. Die meisten Vertreter sind nämlich außerdem meist ziemlich „low“ im Alkohol und „low“ in der „intervention“. Sprachlich befinden wir uns längst in den hippen Weinbars der Großstädte. Die knallig-buntere Variante des Vin de Soif kennt man als „Glou Glou“, aber eigentlich ist auch dieser Begriff quasi schon wieder out. Es gibt zwar immer noch ein paar Sören vom Naturwein-Pop-up-Store im ortsansässigen, gentrifizierten Stadtviertel, die alles pushen was irgenwie „natty“ ist. Aber trotzdem ist die Lust und die Bereitschaft der Leute auf mäuselnde Cabernet Francs von unbekannten Winzern aus kapsellosen Flaschen mit Künstleretikett für 30 € aufwärts, in den letzten Jahren definitiv zurückgegangen. Das klingt jetzt vielleicht maximal polemisch, aber ich hab‘ meine fellow Naturwein-Hipster, die die verstaubte Weinwelt aufmischen, sehr lieb. Der Hype ist nur definitiv abgeklungen.

Vin de Soif ist der Saufwein jener Winzerinnen und Winzer, die zwar noch konservativ das Weinmachen gelernt haben und wissen, wie man massentauglich arbeitet, sich aber bewusst dagegen entschieden haben. Die neue Generation, die vor nicht allzu langer Zeit die Betriebe ihrer Eltern übernommen hat oder gerade dabei ist, hat sich auf Partys in Neustadt und Geisenheim sowie im Freundeskreis in eine Stilistik verliebt, die alte Konventionen hinterfragt und neue Wege beschreitet.
Vin de Soif ist avantgardistische Lebensfreude. Diese Weine passen nicht in klassische Klassifikationssysteme. Sie konkurrieren nicht mit fünf anderen Winzern derselben GG-Lage darum, wer in diesem Jahrgang den besten Pechstein, den komplexesten Uhlen oder den monumentalsten Schlossberg gekeltert hat. Vin de Soif ist vielmehr ein anspruchsvoller, saftiger low-Intervention-Gutswein von jungen, nahbaren Winzerinnen und Winzern, die selbst dem „einfachen“ Wein ein Gesicht geben. Genau davon brauchen wir mehr – deshalb gibt’s heute die Story von Alex Swillus und extrem nicem Portugieser.
Gönnheimer hassen diesen Trick
Alex‘ Wein hat in seiner Heimatstadt Gönnheim bei den älteren Genossenschaftswinzern einen schweren Stand. Von denen muss er sich regelmäßig Sprüche anhören wie: „Da kannste ja gar keine richtige Schorle draus machen“. Stimmt ja auch. Aus diesem Charakterstoff eine Schorle zu mixen, wäre absolut bodenlos. Aber mal langsam.

Alex ist Pfälzer mit Weitblick. Hauptberuflich arbeitet er als 2. Kellermeister mit Nicola Libelli bei Bürklin-Wolf, gleichzeitig zieht er seit ein paar Jahren sein eigenes Projekt hoch: Vin-de-Soif-Portugieser.
Während sein Vater noch bei der Genossenschaft ablieferte, brachte Alex neue Ideen aus Ausbildung, Studium in Geisenheim und seinen Praktika mit. Besonders prägend war für ihn die Zeit bei Claus Preisinger im Burgenland. Ursprünglich wollte er seinen Vater sogar dazu überreden, Gamay zu pflanzen – ohne Erfolg. Stattdessen entstand die Idee, die Stilistik der wilden, naturbelassenen Beaujolais, Trousseau oder ganz konkret Preisingers „Puszta Libre“ einfach mit gutem altem Portugieser „pälzisch“ zu interpretieren.
Rustikal, aber sexy
Ehrlich gesagt hatte ich nie viel von Portugieser gehalten. Zu präsent war die Erinnerung an die Genossenschaftsmarmelade bei mir aus dem Ahrtal oder an den billigen lieblichen Weißherbst aus dem Supermarkt. Das Image wird der Rebsorte allerdings nicht ganz gerecht. Klar, aus Portugieser macht man kein GG – erst recht nicht mit den massetauglichen Klonen, die aktuell auf 2196 Hektar in Deutschland wachsen. Trotz nur 2 % Anteil an der deutschen Rebfläche ist er drittwichtigste rote Sorte hierzulande. Warum? Weil er anspruchslos hinsichtlich Böden und klimatischer Bedingungen ist, hohe Erträge liefert und sich perfekt für Flachlagen mit maschineller Bearbeitung eignet. Die Kehrseite seiner frühen Reife: Er ist anfällig für Kirschessigfliegen und hat somit den Ruf, ein „Klimawandelverlierer“ zu sein. Alex erzählt, dass die Alten im Ort sagen, man könne etwa alle fünf Jahre mal einen wirklichen Rotwein aus Portugieser machen, wenn denn alle Bedingungen stimmten.

© Alexander Swillus
Alex sieht das anders. Er hat eine klare Vision für seine 0,1 Hektar alten, knorrigen Portugieser-Reben von 1969. Stichwort: Massive Ertragsreduktion. Er erzählt mir, wie Portugieser normalerweise in Deutschland produziert wird: Man geht auf den absoluten Maximalertrag und selektiert eigentlich gar nicht. Dann erreichen die Trauben etwa Mitte September die Öchslewerte, die man für Qualitätswein benötigt und werden geerntet, bevor die Kirschessigfliege kommt. Der Wein wird dann um ca. 3% potenziellen Alkohol hochchaptalisiert und anschließend als leichter Weißherbst Rosé für die Schorle verkauft. Nicht bei Alex!

©Alexander Swillus
Sein erster Jahrgang 2021 brachte weniger als 20 Hektoliter pro Hektar, gerade genug für ein gebrauchtes Barrique. Dank der extrem reduzierten Erträge konnte er trotz des verregneten Jahres Mitte September vollreife Trauben mit knapp 10 % potenziellem Alkohol ernten. Klingt dünn und grün? Ist es aber nicht. Nach der Lese landen 80 % ganze Trauben sowie 20 % abgebeerte, leicht angequetschte Beeren im Tank, der dann verschlossen wird. Diese macération (semi-)carbonique zielt nicht auf maximale Extraktion, sondern erzeugt diese „Saftigkeit“, die inzwischen wieder mehr geschätzt wird.
2023 gab es sogar zwei Barriques. Diesmal wurde allerdings nach kurzer Maischestandzeit abgepresst. Das Ergebnis ist zwar ein Rosé, aber stilistisch einfach sehr weit weg vom lieblichen Weißherbst.
Aktuell baut Alex bei sich zu Hause ein Kelterhaus. In ein paar Jahren will er sich endgültig selbstständig machen – mit Portugieser, aber auch mit Riesling. Da kommt also noch einiges auf uns zu.
Die Weine
Portugieser Rosé 2023
Am ersten Tag etwas wild und „dirty“ in der Nase. Farblich näher an Pinot als an Provence-Rosé. Geschmacklich mild in der Säure, etwas Gerbstoff puffert eine leicht rustikale Frucht ab. Stilistisch eher Burgenland als Jura. Sehr stabil!

Portugieser 2021
Ganz anders als der Rosé. In der Nase zunächst kräutrig mit etwas Tomatenkernen wie bei modernem Pinot, aber am Gaumen absolut reif und harmonisch. Wer kalifornische Cabernet-Power sucht, dem wird der Wein „zu dünn“ sein. Wer aber leichte, saftige Rotweine mag und genug hat von verschlossenen Gutsspätburgundern, wird hier sehr glücklich. Ich bin’s auf jeden Fall. Vor allem funktioniert das glaube ich in ganz vielen verschiedenen Situationen. Auf Partys, zum Grillen, zum Picknick, …
Lust bekommen? Dann kommt am 27. & 28. Juni zu Alex aufs Hoffest nach Gönnheim – Portugieser, Pizza & Party warten!