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Hamburg Calling

Eigentlich bemühe ich mich seit ich diesen Blog gestartet habe um kürzere und prägnantere Texte, aber heute wird das wahrscheinlich nichts. Dafür habe ich zu viel zu besprechen und möchte den Beitrag ungern aufteilen. Deswegen setzt euch hin, holt euch was Gutes zu trinken und bringt ein bisschen Zeit mit ;).

Ich bin Hendrik Thomas Einladung nach Hamburg auf die Waliversum 2.0 gefolgt. Für die wenigen die nichts mit diesem Namen oder mit „Wein am Limit“ anfangen können – hier eine kleine Erklärung: Hendrik Thoma ist ein deutscher Master-Sommelier der irgendwann keine Lust mehr auf das Arbeiten in der Sternegastronomie hatte und stattdessen einen etwas unkonventionellen Online-Shop für Wein gegründet hat.

Seit dem letztem Jahr veranstaltet Wein am Limit ihre eigene Weinmesse, die sogenannte Waliversum. Ich hatte nun das Vergnügen zur zweiten Auflage Ende Oktobers eingeladen zu sein. Dafür, dass dies für mich die erste Weinmesse war, durfte ich gleich sehr hochklassig einsteigen. Die Menge an Eindrücken, die ich in den knapp sieben Stunden über die insgesamt 104 probierten Weine gewonnen habe, würde wahrscheinlich für mehr als nur diesen einen Beitrag reichen. Ich versuche mich aber einfach mal auf die ganz besonderen Momente und die lustigsten oder spannendsten Gespräche zu beschränken.

Akklimatisieren im Eindrucksüberfluss

Der Titel klingt nach einem mittelmäßigen Arthouse-Film, passt aber ganz gut zu meinen ersten 30 Minuten auf der Messe. Es ist tatsächlich sehr ungewohnt auf einmal die Winzer, Händler und Blogger im echten Leben zu sehen, die man sonst nur über YouTube, Podcasts oder online Artikel kennt. Während ich mein Glas Begrüßungscremant von Arnaud Lambert genieße, sehe ich Christoph Raffelt (der absolute OG-Weinblogger von originalverkorkt) am anderen Ende des Raums wie er professionell und völlig entspannt mit den Winzern ins Gespräch kommt und routiniert alles probiert. Ich habe einen Pressezugang bekommen und darf daher eine Stunde vor offizieller Eröffnung schon rein. Das ist tatsächlich echt viel wert, denn so muss man weder die Ellbogen ausfahren noch lange vor einem Stand warten, um die Weine zu probieren und ein bisschen darüber ins Gespräch zu kommen.

Weine einordnen

Ich hatte mich schon länger gefragt wie professionelle Verkoster diese vielen Weine alle fair und akkurat in so einer kurzen Zeit besprechen und bewerten können. Jetzt weiß ich – tun sie nicht. Wer sich einbildet nach einem Probeschluck einen Wein verstanden zu haben, der kann zwar gerne mit mir Wein trinken, aber mein Einkaufsratgeber wird er nicht mehr. Man muss bei so vielen Weinen – insbesondere so vielen verschiedenen Weinen aus der ganzen Welt – darauf hoffen, dass dich eine herausragende Eigenschaft des Weins anspricht. Einen groben Eindruck bekommt man auch mit einem Probeschluck, wer aber auf einer Messe mit Punkten um sich wirft, sollte das vielleicht nochmal überdenken.

Deswegen erwähne ich hier auch nur die Weine, die etwas ganz bestimmtes bei mir getriggert haben, die eine besonders schöne Geschichte transportieren oder die einfach wirklich extrem gut waren. Spoiler alert: Bei einem solchen Sortiment waren wirklich einige dabei …

Die Preiskennzeichnung für die Weine findet ihr wie immer hier.

Meine persönlichen Highlights

Agricola Molino – Piemont, Italien

Fangen wir mal mit Weinen aus meinem eigenen Beuteschema an. Barbaresco – Ausario 2020 von Molino ist zwar noch ein Baby, aber die Anlagen für eine grandiose Zukunft bringt er absolut mit. Marco Molino sagt über den Jahrgang 2020 im Piemont sinngemäß: „Selbst der größte Depp konnte 2020 guten Wein machen“. Das wird er im Zweifelsfall sicher besser wissen als ich, aber dieser Einzellagen-Barbaresco ist eine wirkliche Ansage. Weit weg von der Trinkreife, aber groß. (€€€) Sein Chardonnay – Sofia 2021 ist für mich eine Horizonterweiterung, denn er flirtet wirklich kein bisschen mit dem Burgund. Das ist warm, kräftig in der Frucht und verzichtet eigentlich gänzlich auf die Holztanninnummer. Das liegt daran, dass er in gebrauchten und ausgedampften, nicht ausgebrannten, Barriques ausgebaut wird. Spannend aber ich bin, glaub‘ ich doch mehr der Burgundertyp. (€€)

Crystallum – Hemel-en-Aarde-Ridge, Südafrika

Südafrika hat es mir einfach häufig angetan. Ganz zu Beginn des Jahres habe ich ja schon mal die Chardonnays von Peter Alan Finlayson besungen. Umso gespannter war ich mal die gesamte Kollektion verkosten zu können. Der 2022er Clay Shales ist jahrgangsbedingt etwas reifer und nicht ganz so schlank wie der 21er aus dem Blog, aber trotzdem soo viel schöner, als alles was ich in der gleichen Preisklasse bisher aus dem Burgund getrunken habe. Der Ferrum 2022 ist dagegen der deutlich wildere und ungestümere Typ und prägt einen eigenen Stil – extrem spannend.

Die Pinots sind allesamt sehr unterschiedlich im Stil. Peter findet meine Bezeichnung seines Peter Max 2022 als stilähnlich zu gutem Beaujolais nicht abwegig und mag den Vergleich sogar ganz gerne. Das schmeichelt meinem Ego als Weinnerd natürlich ungemein, wenn mir nach drei Jahren Lernen ein paar gescheite Worte zu einem Winzer über seinen Wein einfallen. Gerade Demut ist etwas, das man als Anfänger auf einer Messe mit so vielen Granden erlernt. Na ja, jedenfalls ist der Peter Max für mich ein Trinkwein der obersten Kategorie und trotz des Beaujolais-Vergleichs zum Glück nicht laktisch. Für den Vergleich mit dem Burgund fahren wir beim Cuvée Cinema 2022 100km nach Norden an die Côte de Nuits. Die erhabene Eleganz dieses Pinots ist wirklich herausragend. Trotz 13,5% Alkohol könnte man blind wahrscheinlich auf die Idee kommen hier würde mit minimaler Unreife gespielt werden – Stichwort Jazz – aber eigentlich würde ich das ausschließen. Groß! Der Mabalel 2022 wächst über 300m höher und ist viel schlanker als der Cinema. Ihn zeichnet seine absolut elektrische Säure aus, die ihn extrem lang nach hinten raus trägt. Toller Wein, aber nicht ganz so mein Fall wie der Cuvée Cinema. Was eine Performance! (€€€ – für alle Weine)

Bodega y Viñedos Akilia – Cádiz, Spanien

Nachdem ich jetzt im Urlaub noch Sherry, trockenen Palomino und sogar Orange Palomino getrunken habe, waren die Bodega y Viñedos Akilia Weine natürlich besonders spannend. Besonders herausgestochen hat dabei der Tosca de Lentejuela 2021, der sich mit einer wahnsinnigen Tiefe und Ruhe präsentierte. Auch dieser Wein bestätigt mich in meiner Einschätzung, dass diese trockenen Palominos absolut das Potenzial zum großen Weißwein der Welt haben, aber wahrscheinlich doch in ihrer Nische bleiben werden. So etwas feiert, glaube ich, eher die Avantgarde als die „Auguren“ ;). Ganz bodenständig oute ich mich aber gerne als großer Fan davon. (€€€)

Marof – Prekmurje, Slowenien

Für mich besonders spannend, weil völlig unbekannt, waren die Weine von Uroš Valcl, da ich vorher nie Wein aus Slowenien im Glas hatte. Was war also mein Eindruck? Mann, kann der Typ Sauvignon Blanc! Marof Wines Sauvignon Blanc – Bodonci 2019 schafft den Spagat zwischen Eleganz und Kernigkeit. Der Wein hat wirklich Ecken und Kanten und wirkt kaum „glattgeschliffen“, hat aber darüber hinaus eine Energie, die ihn wirklich herausragen lässt. Fällt für mich unter die Kategorie „Steinwein“, weil ihm die sehr expressive Frucht fehlt und er mehr über die steinige Phenolik kommt. Sollte man auf dem Radar haben! (€€€)

Daniel Twardowski/Pinot Noix – Mosel, Deutschland

Bei Daniel Twardowski ereignet sich einer der wahrscheinlich lustigsten Momente, die ich in der Weinwelt bisher erlebt habe. Einerseits weil es einfach eine sehr skurrile Situation war, andererseits weil sie sinnbildlich für die Art Umgang mit Wein als Mittel zur Distinktion herhalten kann.

Die Veranstaltung geht schon seit einigen Stunden, aber ich habe seit dem anfänglichen Cremant noch keinen einzigen Probeschluck wirklich getrunken. Eigentlich eine totale Verschwendung, aber ich will ja so viel mitnehmen wie ich kann. Während ich gerade beim Stand ankomme probiert ein älterer Herr einen von Twardowskis moselaner Spätburgunder. Er spuckt den Wein aus, wartet ein paar Sekunden, sammelt sich, schaut dem Winzer in die Augen und sagt dann mit einer Mischung aus kecker Provokation und spöttischer Überlegenheit: „Ist ja schon ein bisschen langweilig.“ Während ich gedanklich noch dabei bin zu verarbeiten, ob er das gerade wirklich gebracht hat, hat Twardowski ihn schon längst abgebrüht darauf hingewiesen, dass er natürlich auch noch gerne die Weine bei den anderen Ständen probieren könne. Daraufhin macht sich der Herr gemächlich und ohne noch ein Wort zu verlieren davon. Eine Minute später probiere ich einmal die ganze Range vom einfachen Pinot Noix bis hin zum Hofberg Reserve durch und wir Schaulustigen können uns gemeinsam mit Twardowski gut über die Szene amüsieren.

Selbst der „einfache“ Pinot Noix 2020 zeigt schon ganz eindeutig für welchen Stil Daniel Twardowski steht. Alle drei Pinots sind völlig unfiltriert, sehr niedrig im Alkohol und extrem filigran. Man könnte fast meinen das sei Mosel … 🙄 Je höher man in der Reihenfolge geht, desto feiner wird das dann auch noch. Es lohnt sich sehr die Weine alle drei mal nebeneinander stehen zu haben, denn in einer Blindprobe hätte ich es vermutlich sehr schwer sie ganz klar auseinanderzuhalten. 11,5% Pinot und was mir als Erstes auffällt, ist, dass ich das total trinkig finde. Hier sind wir jetzt definitiv auf der leicht grünen Seite der Macht, aber erstaunlicherweise macht es mir gar nichts aus. Denn der Wein hat eben trotzdem noch sehr hellrote Frucht und ist eben nicht nur „karg“. (€€€)
Der Hofberg Reserve 2020 ist dann wirklich die Reinform dieses Stils. Das muss man nur mal probiert haben, wenn man komplett auf diese Art Pinot abfährt. (📉)

Wenn man wie ich als Bonner, danach sucht, findet man auch Parallelen zu Pinot von der Ahr durch diese typische Schieferaromatik. Allerdings wirkt der klassische Ahr-Spätburgunder deutlich „barocker“ und kräftiger dagegen. Um das mal etwas abzukürzen: Das ist kein typischer Pinot. Weder typisch deutsch noch typisch Burgund. Das ist sehr, sehr eigenständig und nicht plakativ. Wer vielleicht schon etwas eingerostet ist in seinen Geschmacksvorstellungen, den wird das sicher an seine Grenzen bringen und das finde ich auch okay. Nur, weil ich das mag, muss das nicht jeder mögen. Sich aber bei einem 125€ teuren Wein hinstellen und dann kontextlos und ohne weitergehende Erklärung zu sagen, dass man das halt langweilig findet, zeugt schon ein bisschen davon, dass der Typ offenbar einfach am Leben vorbeiläuft. Insider wissen was gemeint ist 😉

Agricola Cherubini – Lombardei, Italien

Rein von den Zahlen her ist dieses Weingut perfekt für die Fraktion von Weintrinkern, die schnell den „Industrie-Alarm“ schlagen, sobald ein Weingut ihrer Meinung nach zu groß ist. Denn ganze zwei Hektar bewirtschaftet Mattia Corbellini in den Colline di Brescia. Hier produziert er für sein Projekt Cherubini traditionelle Schaumweine aus Pinot Nero (Pinot Noir) und Chardonnay – orientiert an der Champagne und doch ganz eigenständig. Spontangärung, Bewirtschaftung nach biodynamischen Prinzipien, minimale Schwefelgaben … hier werden die Fans von „Ursprünglichkeit“ voll abgeholt – mich eingeschlossen! Der Mann hat seine Zielgruppe gut verstanden, denn bei einer so kleinen Produktion besteht diese eigentlich unter Garantie hauptsächlich aus Freaks. Deswegen sind alle seine vier Schaumweine brut nature.

Ich habe mir hier für den Blog mal exemplarisch den Wein ausgesucht, der mich am meisten angesprochen hat, nämlich der Subsidium NV. 40% Chardonnay und 60% Pinot Nero treffen auf 18% Reserveweine aus dem Barrique. Dann bekommt der Wein 60 Monate Zeit auf der Hefe zu reifen … Leute, probiert das mal! So eine Tiefe hatte ich bis dato noch nicht in einem Schaumwein. Natürlich ist das etwas oxidativer vom Stil als ein klassischer Champagner, aber Brioche hat das auch und die Kombi finde ich persönlich erstaunlich gut. Gleichzeitig hat das viel Kraft und auch recht breite Schultern. Dass der Wein aber nicht zu sehr ins Üppige abdriftet, dafür sorgt die knackige Säure. Geiles Zeug und für das was es ist echt preiswert. (€€€)

Masterclass aus Südafrika

Wie schon erwähnt hatte ich in der ersten Stunde für die Presse, ja ich zähle tatsächlich zur Presse, deutlich mehr Zeit und Ruhe um die Weine zu probieren und auch mal mit den Winzerinnen und Winzern ins Gespräch zu kommen. Ungefähr zur Halbzeit der Veranstaltung kam ich aber trotzdem nochmal voll auf meine Kosten. Das Team von Wein am Limit hatte im Rahmen der Messe auch drei Masterclasses organisiert und mich zu einer davon eingeladen. Andrea Mullineux und Jessica Saurwein luden ein und dass ich ein Faible für Südafrika habe, sollte inzwischen hoffentlich klar geworden sein. Die Master-Sommeliere Stefanie Hehn führte gekonnt durch die Veranstaltung und gab bei jedem Wein Tipps und Vorschläge für das Pairing mit Essen. Ich muss gestehen, dass ich bei diesen Vorschlägen nicht ganz präsent war, denn die Weine hatten es so unfassbar in sich!

Kurz zu den beiden Winzerinnen. Andrea führt zusammen mit ihrem Mann Chris das Weingut Mullineux & Leeu Family Wines. Im Herzen des Swartlands fokussieren die beiden sich auf Syrah und Chenin Blanc und sind längst in der nationalen Spitze angekommen. Jessica Saurwein hat ihr Weingut Saurwein Wines in Stanford, 10km landeinwärts von der Walker Bay. Hier ist es deutlich kühler als im Swartland bei den Mullineuxs, weshalb Jessica sich auf die Rebsorten Pinot Noir und Riesling spezialisiert hat.

Die Weine

Die Masterclass startet mit Jessicas Chi Riesling 2023. Die Reben stehen im Elgin-Tal auf rotem Schiefer. Sie beschreibt ihn als „blumig, fruchtig und halbtrocken“ und gemeinsam mit der Reduktion vom Schiefer wirkt der Wein tatsächlich wie ein blutjunger Moselaner. 14g Restzucker auf 8g Säure bei 11.5% Alkohol ist natürlich nicht ganz exakt wie ein klassischer Kabi, aber geht doch sehr in diese Richtung. Das ist zu diesem Zeitpunkt noch wirklich viel zu jung, lässt aber viel Potenzial erahnen. Ich freu‘ mich auf den 2020er, den ich noch im Keller liegen habe. (€€)

Weiter geht es mit dem Old Vines White 2021 von Mullineux. Eine fast schon klassische wilde Swartland-Cuvee aus überwiegend Chenin Blanc und ganz viel anderem würzigen. Clairette, Grenache Blanc, Semillon Gris, Verdelho und Viognier. Was halbwegs ähnlich bei Chris Alheits Hemelrand funktioniert, funktioniert auch hier. Meine Güte ist das ein überragender Wein, nicht nur für seine Preisklasse. Das hat eine wahnsinns Tiefe, bleibt aber trotzdem unglaublich leicht. 11 Monate Ausbau im großen gebrauchten Holz bedeutet, dass der Wein kaum Holzaromen mitbringt, aber schon etwas Schmelz verpasst bekommen hat, der dem mittelkräftigen Körper sehr gut steht. Das ist wirklich knochentrocken und hat eine klasse Phenolik. Viel Primärfrucht ist da nicht dabei – passt also ganz gut in die Kategorie „Steinwein“. Ist das noch Mittelklasse oder nicht doch schon Festtagswein? (€€)

Die Pinot Noir aus dem Hause Saurwein sind meiner Meinung nach echte Unikate. Beginnen tun wir mit dem NOM 2022. Reben auf 700 Metern über N.N., 10-15% Ganztraubenpressung und 25% neue französische Barriques ergeben einen filigranen, fast ätherischen Wein. Der Wein hat eine fantastische Säurestruktur, ein ultrafeines Tannin, bringt eine tolle Würzigkeit mit und hat eine minimale grüne Anmutung. Was mich aber an beiden Pinots so begeistert ist die Tatsache, dass sie den Ritt auf der Rasierklinge der Unreife schaffen, ohne dabei dünn zu werden, denn beide haben 14% Alkohol. Blind hätte ich das aber bei höchstens 13% eingeordnet. Diese Weine sind die Art von Pinot die ich gerne (fast) immer hätte, von der ich aber bis dahin noch nichts wusste. Der NOM kratzt für mich am Prädikat „groß“, eine Hürde, die sein Bruder mit Anlauf nimmt. Trotzdem ist das ein sensationeller Wein. (€€€)

OM 2022 also … erstmal vorab die Unterschiede zum NOM. Etwas floraler, minimal weniger würzig, minimal leichterer Säureeindruck, insgesamt etwas runder und mit einer frischen Minzigkeit ausgestattet. Auch wenn Jessica Saurwein sehr viele interessante Dinge über ihre Weine und ihr Weingut erzählt hat, schalte ich bei diesem Wein kurz ab und höre ein paar Minuten lang nur dem Abgang zu. Große Weine haben bei mir die Eigenschaft, dass Sie nicht nur einen mentalen, sondern auch einen körperlichen Eindruck hinterlassen. Meistens werde ich bei diesen Weinen sehr still, fange an zu grinsen, schüttele verständnislos den Kopf oder veranstalte eine Kombination aus allen drei Dingen. Würde man mir nochmal eine Flasche davon geben und ich bekäme ein paar Tage Zeit, um das nochmal in Ruhe zu verkosten, bekäme ich meine Begeisterung wahrscheinlich wieder in Einklang mit den Bewertungen dieser Weine durch die einschlägigen Verkoster. Aber wenn ich ehrlich bin, will ich das gar nicht. Das ist für mich ohne Probleme der beste Pinot des Jahres! (€€€)

Okay, genug geschwärmt. Voller Fokus auf die letzten beiden Weine der Veranstaltung. Andrea Mullineuxs Syrah 2020 ist quasi der Querschnitt durch die drei Lagenweine Schist, Granite und Iron. Stilistisch ist der Wein deutlich näher an der nördlichen Rhône angelehnt, als am „typischen“ Übersee-Syrah. Meine Erfahrung mit der Rebsorte ist wirklich eingeschränkt und in mancher Hinsicht bin ich sogar etwas verschreckt, spätestens seitdem ich Anfang des Jahres mal viel Geld in einen Côte Rôtie gesteckt habe und der mir kaum etwas anderes gesagt hat als: „Ich bin übrigens karg!“. Deswegen habe ich wirklich nicht viele andere Weine, mit denen ich das hier vergleichen kann. Allerdings gefällt mir der Wein gut. Er ist in der Nase erstaunlich tiefgründig und komplex mit dunklem Kakao, Pfeffer und auch dieser fleischigen Umami-Komponente. Während die beiden Pinots rebsortentypisch sehr hell und transparent waren, ist das hier im Vergleich dicke Tinte. Aber ein wirklich schöner intensiver Rotwein. (€€€)

Den Abschluss macht dann wieder eine Granate. Die Nase vom Syrah „Iron“ 2018 hat schon was von „holy shit“ und „was ist das denn?“. Aber langsam. Die eisenhaltigen Lehmböden, auf denen die Reben für diesen Wein stehen, nennen die Südafrikaner „Koffieklip“. Andrea Mullineux erklärt, dass die Trauben auf diesen Böden sehr klein bleiben und keine dicke Schale aufbauen. Das führt dazu, dass die Weine eine Tendenz dazu haben wenig Primärfrucht und sehr viel „Fleischigkeit“, manch einer nennt das auch „blutig“, auszubilden. Das finde ich auch tatsächlich in dem Wein wieder und finde das sensationell gut. Auch dieser Wein hat in der Nase etwas Minze parat und einen Geruchseindruck, den ich nach etwas Überlegen bestenfalls als „Hustinetten“ beschreiben würde, aber nur positiv gemeint. Nach fünf Jahren hat sich der runde Gerbstoff sehr gut eingebunden, obwohl natürlich immer noch mehr davon vorhanden ist als in den Pinots. Was den Wein so heraushebt ist, dass er kräftig, intensiv und tief ist, ihm dabei aber die Leichtigkeit und die Feinheit nicht abhandenkommt. Das ist leider wirklich viel Geld, das man für diesen Wein hinlegen muss, aber wer kann, der sollte unbedingt! (📉)

Einmal repräsentieren, bitte!

Einen Wein habe ich nachträglich nochmal zur längeren Verkostung zugeschickt bekommen. Einerseits weil ich das Gefühl hatte, dass er bei der Kurzprobe schon viel Potenzial gezeigt hatte, andererseits weil er einige Attribute verkörpert, die eigentlich alle Weine aus dem Wein am Limit-Sortiment gemeinsam haben. Dieser Wein stammt aus Rodri Méndez‘ Projekt Forjas del Salnés und ist der Finca Genoveva Caiño 2020. Was ist das für ein Wein?

Rodrigo Méndez ist einer der besten und renommiertesten Winzer der Rías Baixas. Charakteristisch ist für ihn vor allem, dass sämtliche seiner Weinberge in Pergolaerziehung angelegt sind. Wem das nichts sagt, kann sich gerne hier einen kurzen Artikel darüber durchlesen. 2005 gründete Rodri, wie er eigentlich immer genannt wird, gemeinsam mit dem Mencía-Pabst Raul Perez zusammen die Bodega Forjas del Salnés. Ihr berühmtester Wein ist der „Sketch“, einer der Top-Albariños, den sie für das gleichnamige Londoner Restaurant produzieren und dessen Name den Rías Baixas viel Aufmerksamkeit beschert hat. Rodris andere Herzensangelegenheit sind aber die autochtonen roten Rebsorten Galiziens wie Loureiro, Espadeiro und Caiño. Letzteren baut er sogar in seiner Toplage Finca Genoveva an und genau diesen habe ich mir ausgesucht.

Caiño ist sowasvon untypisch für spanische Rotweine. Das hat wirklich rein gar nichts mit klassischem Rioja, Ribera, Toro oder Priorat zu tun. Was die Säure angeht lässt Caiño selbst Pinots aus kühlen Regionen alt aussehen. Dieser hier bringt stramme 6,7 g/l mit. Gute Weißburgunder und etwas wärmere Rieslinge entsprechen eigentlich eher diesem Wert. Die Trauben waren vollreif und trotzdem hat der Wein durchgegoren lediglich 12% Alkohol. Farblich ist das nicht so hellrot wie Pinot, sondern deutlich violetter, aber ähnlich hell und transparent – das blanke Grauen für klassische Rotweintrinker.

In der Nase unglaublich floral, etwas Teer und insgesamt ziemlich wenig Primärfrucht. Wieder ein Wein für die „Steinwein“-Fraktion? Am Gaumen bin ich sehr begeistert, denn das hat phenolischen Grip, aber keine aggressiven Tannine, die Säure ist natürlich wirklich ausgeprägt aber fällt nicht unangenehm auf. Darüber hinaus bin ich auch sehr davon überrascht, dass das wirklich vollreif zu sein scheint, denn das hat nicht viel grüne Anmutung – trotz des niedrigen Alkohols. Nach ein zwei Tagen Luft bekommt das auf einmal ein bisschen von dieser rohen Fleisch-Nummer und sogar eine sehr präzise Kirsch-Himbeer-Frucht. Ich versuche das eigentlich die ganze Zeit einzuordnen und überlege mir ganz viele vergleichende Bilder. Violetter Nebbiolo für Weißweintrinker? Nebbiolo für Pinottrinker? Letztendlich ist es weder das eine noch das andere. Es ist Caiño: ein ultra filigraner Rotwein aus Galizien. Ich bin schwer begeistert. Vielleicht nicht ganz so sehr wie Luis Gutiérrez der dem Wein für Parkers Wine Advocate 97 Punkte gibt, aber trotzdem ist das ein absolut grandioser eigenständiger Wein, den man unbedingt mal getrunken haben sollte. Wenn nicht diesen hier, dann zumindest eine einfachere Qualität aus diesen autochtonen galizischen Rebsorten. (€€€)

Fazit

104 Weine in 6.5 Stunden. 30 von 35 Winzerinnen und Winzern. Dass Wein verkosten auch wirklich Arbeit sein kann, trau‘ ich mich eigentlich nicht wirklich zu sagen. Allerdings war ich erstaunt davon, wie fertig man doch nach einem solchen Tag sein kann, wenn man die ganze Zeit die Konzentration hochhält und alles spuckt. Mir sind auch genügend Leute begegnet, die zwar so ziemlich alles probiert haben, aber die Spucknäpfe eher als Requisite betrachtet haben, was auch völlig legitim ist.

Für meine Weinmessenpremiere war das natürlich auch schon ganz weit oben angefangen, aber trotzdem war ich völlig überrascht, wie wenig Weine ich über den ganzen Tag gefunden hatte, die nicht so meinen Geschmack trafen. Das sollte eigentlich nicht wundern, wenn man über ein so gut kuratiertes Sortiment redet, wie Hendrik, Bianca und das gesamte Team es über die letzten zehn Jahre aufgebaut haben und trotzdem war ich wirklich überrascht.

Am Ende des Tages gingen viele der Besucher noch schick in die guten Restaurants Hamburgs. Für mich als Studenten führte der Weg aber erstmal zur Anmeldung in der örtlichen Jugendherberge und anschließend zu bestenfalls mittelmäßigem fried chicken auf die Reeperbahn. Nach so viel Säure und Gerbstoff brauchte mein Mund irgendetwas extrem fettiges zum Reparieren. Und trotzdem war es ein extrem schöner Tag mit einer verspätungslosen Zugfahrt am Morgen, vielen tollen Begegnungen und noch tolleren Weinen tagsüber und mit fettigen Fingern über das Smartphone Sportschau gucken am Abend.

Danke an Nico und Alex für die Einladung, danke an Bianca und Hendrik und an alle die diese Veranstaltung organisiert haben und danke an euch alle, dass ihr euch diesen Roman bis zum Ende durchgelesen habt!

Offenlegung: Ich wurde auf die Veranstaltung eingeladen und habe ein Muster vom Finca Genoveva zur Nachverkostung erhalten.

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2 Antworten auf „Hamburg Calling“

Ein wirklich sehr schöner Beitrag. Beim „langweiligen“ Wein von Daniel stand ich mit daneben und musste dass auch erstmal einordnen weil es so ulkig war. Ein Pinot der viel Feingefühl und eigentlich Ruhe fordert, für manche wohl zu ruhig. Es freut mich, dass wir viele gleiche Favoriten haben . Bis nächtes Jahr 🙂
LG Sebastian

Ach wie witzig. Die Welt ist dann doch kleiner als man denkt. Freut mich, dass dann gerade du den Beitrag gefunden hast. 🙂 Hoffentlich bis im nächsten Jahr wieder.
Liebe Grüße,
Gero

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