Kategorien
€€€ €€€€ Weintagebuch

Auf der Suche nach „schönen Sommerweinen“

Gelegentlich muss man auch mal die Komfortzone der eigenen vier Wände verlassen und sich auf den Weg in die Weinanbaugebiete Deutschlands machen. So ging es meinem Freund Moritz und mir neulich. Was als eine Art kleiner Weinwanderung mit Weingutsbesuchen werden sollte, wurde wegen Petrus‘ miesen Launen dann doch eher zur reinen Einkaufstour. Ich hoffe inständig darauf, dass er uns mit einer Kiste seines eigenen bordelaiser Weinguts entschädigt. Das wäre doch mehr als fair.

Na ja, bevor das hier zum semi-christlichen Wetterbericht mit peinlichen Anbiederungsversuchen an ein Spitzenweingut aus Pomerol wird, möchte ich lieber ein bisschen von den hiesigen Entdeckungen erzählen, denn diese waren teilweise absolut überragend.

Von Wintersheim bis zum Roten Hang

Erster Stopp: Nierstein. Genauer gesagt Weingut Lisa Bunn. Eigentlich war mal geplant, dass Lisas Mann Bastian Strebel auch im Namen vertreten sein soll, aber das wurde dann, offenbar aus Verwirrung seitens eines Teils der Stammkunden, wieder verworfen. Den Weinen tut es keinen Abbruch, denn seit einigen Jahren beobachte ich aus der Ferne mit großer Neugier die Entwicklung der Weine.

Der Jahrgang 2023 ist seit ein paar Wochen gefüllt und so riecht der aktuelle Gutsriesling noch wunderbar nach Kellerhefe und ein wenig Schwefel. In ein paar Wochen bis Monaten ist das verflogen, aber mich erinnert das immer an meine zwei Monate Praktikum, wo ich diesen Geruch fast täglich in der Nase hatte. Schöne Zeiten!

Kennengelernt hatte ich das Weingut damals über die wunderbar unkomplizierten, leichtfüßigen aber keineswegs banalen Rieslinge vom Roten Hang und aus Wintersheim. Interessanterweise stachen diese an dem Tag am wenigsten heraus und machten Platz für sehr eigenständige andere Weine. Dass mir der Sauvignon Blanc Fumé gefallen würde, davon war ich ausgegangen. Das Holz ist zwar deutlich präsent, aber erschlägt den Wein nicht. Mit seinen 11.5% ist der 2022er darüber hinaus noch sehr grazil – ein kraftvoller Tänzer. Beim 22er Chardonnay „vom Kalkstein“ wandert dann die Augenbraue in Richtung Haaransatz. 20 Jahre alte Reben im Dienheimer Tafelstein, gewachsen auf Kalk, 24 Stunden Maischestandzeit, Vergärung und Ausbau im großen gebrauchten Holz – und das alles für 11€. Hier ist das Holz wirklich nur dazu da um dem Wein ein wenig Schmelz zu verpassen. In dieser Preisklasse kenne ich bisher nichts vergleichbar gutes. Hut ab!

Positiv überrascht bin ich auch von den Roten. Im Spätburgunder Réserve 2019 vereinen sich Finesse, Kraft und Struktur. Sehr schön. Dann ein Portugieser Réserve aus gleichem Jahr. Meine Erwartungen waren niedrig und wurden komplett pulverisiert. Mann, was kann man aus Portugieser schönen Wein machen, wenn man will. 36 Jahre alte Reben, zwei Jahre im Barrique gereift, davon 2/3 neu und 1/3 drittbelegt. Das ist im besten Sinne simpel aber schön. Eine betörende dunkle Frucht mit ein wenig Gerbstoff ergeben einen rundum gelungenen Rotwein für alle möglichen Gerichte und Anlässe. Mein unerwarteter Liebling kommt zum Schluss. Cabernet Sauvignon Réserve 2020. Im Jahresrückblick zu 2023 hatte ich ja schon über den Bordeaux-Blend der Dillmänner aus dem Rheingau berichtet, aber trotzdem bin ich auch hier wieder überrascht gewesen, wie schön Frucht, Gerbstoff, Säure und Holz ausbalanciert sind. Der Wein hat zwar jetzt wirklich ordentlich Tannin, aber das braucht er auch, denn der soll echt reifen können. Bei aller Kraft und Substanz die er mitbringt, wird er aber zum Glück nicht marmeladig und behält sich eine tolle Frische. Ich könnte das auch jetzt schon trinken, aber eigentlich darf der noch ein paar Jahre im Keller verschwinden.

Wenig Oberboden über massivem Fels

Die nächste Station war Gunderloch in Nackenheim und obwohl Johannes Hasselbach dort in den letzten Jahren einiges verändert und für frischen Wind gesorgt hat, ist Gunderloch doch eine ganze Spur etablierter als Lisa Bunn. Auch wenn wir uns eigentlich hätten ankündigen müssen, können wir einiges spannendes probieren. Während wir eine absolut traumhafte Rothenberg Spätlese aus 22 probieren, unterhalten wir uns über die klimatischen Veränderungen im Roten Hang und wie die Beschaffenheit der Böden damit zusammenhängt. Fachgespräch – ja, aber insbesondere für mich extrem spannend und mir deutlich lieber als konkrete Speiseempfehlungen für die Weine genannt zu bekommen. Hat auch seine Berechtigung, aber die geologische Beschaffenheit des Rothenbergs näher kennenzulernen und was diese mit dem Grundwasserspiegel zu tun hat, ist dann doch interessanter.

Die Kernkompetenzen von Gunderloch hier zu präsentieren hat hier an dieser Stelle nicht viel Sinn. Die Großen Gewächse haben in den letzten Jahren einen so gewaltigen Bekanntheitssprung gemacht und die frucht- und edelsüßen Rieslinge genießen schon seit Jahrhunderten Weltruf. Etwas relativ unbekanntes habe ich dann aber doch gefunden, dass ich gerne vorstellen möchte. Der Silvaner X.T. 2021 passt eigentlich hervorragend in die Rheinhessen-Silvaner Überlegung von vor einem Monat, als es um Kellers Westhofener Silvaner ging. X.T. steht hier für „Experiment trocken“ und wächst ausschließlich im Rothenberg. Der Wein zeigt lustigerweise viel mehr Rothenberg- als Rebsortentypizität. So was klingt immer so ein bisschen nach Werbespruch, aber wer das mal im Glas hatte versteht was ich meine. Das ist knochentrocken, reduktiv, rauchig, fast ein bisschen „naturalmäßig“ ungeschliffen. Tee, Akazienhonig, Rauch … ich find das absolut grandios und gerade für seine Preisklasse ist das lächerlich gut. Wenn ich richtig zugehört habe, dann gibt es davon nur etwas mehr als 1000 Flaschen, aber vor zwei Wochen war zumindest noch was da ;).

Der Nicht-Rheingau

Bis dahin war uns das gar nicht so bewusst gewesen, dass Hochheim so sehr umstritten war, aber bei Künstler angekommen wurden wir erstmal schnell mit der Debatte konfrontiert, dass Hochheim ja eigentlich gar nicht „richtig“ Rheingau sei. In der Tat fällt es mir oft nicht allzu schwer Rüdesheimer von Hochheimern zu unterscheiden. Während aus den Weinberge in der Nähe von Mainz sehr säurebetonte, geradlinige, fruchtbetonte Rieslinge entstehen, so sind die meisten anderen Rheingauer Ortschaften (und insbesondere Rüdesheim) fast immer würziger und oft auch komplexer.

Was uns dort mal ehrlich gesagt wird ist eine Prognose für den Jahrgang 2023. Sinngemäß wiedergegeben: Das was drin ist, ist gut. Insbesondere Fäulnis aber auch die Trockenheit im neuen Rekordhitzejahr haben nicht unbedingt für hohe Erträge gesorgt. Ich bin gespannt darauf im Spätsommer dann mal die ersten größeren Weine zu probieren, denn noch liegt alles entweder im Tank oder schmeckt sehr nach Schwefel und Kelleraromen im Gutswein.

Abendliche Punkteberieselung

Seit Moritz weggezogen ist, sehen wir uns nicht mehr so oft wie vorher. Das bedeutet, dass wir, wenn wir uns sehen, die „großen Pötte“ (der geneigte Penny-an-der-Reeperbahn-Doku-connaisseur weiß bescheid) rausholen. So auch dieses mal.

Reinhold & Cornelia Schneider Chardonnay Spätlese Réserve 2012

Ich bin blind bei irgendwas zwischen holzfassausgebautem Weißburgunder und Nordrhône gelandet … Das zeigt recht eindeutig, dass ich keinen wirklichen Plan hatte. Die stabile Säure zeigte nach Deutschland, aber die Würze passte eigentlich zu nichts, das ich von hier kenne. Auch beim Alter bin ich völlig falsch. Dass das fast zwölf Jahre alt sein soll, geht kaum in meinen Kopf. Mit mehr Luft wird das etwas älter, aber zu Beginn hätte das auch 21 sein können. Nach etwa einer Stunde offen wird es dann aber auch richtig stark. Heiner Lobenbergs Vergleich mit altem weißen Rioja finde ich okay aber da fehlt mir dann die ausgeprägt salzig-nussige Seite. Trotzdem ein verdammt guter Chardonnay, aber mit dem Burgund würde man das nicht verwechseln. (€€€)

Christmann Königsbacher Idig Riesling GG 2019

Ich bin einfach nicht geduldig genug um den Wein zehn Jahre wegzulegen. Darüber hinaus habe ich inzwischen auch zu viele komische Erfahrungen mit Riesling GGs aus 2019 gemacht – nicht so arg wie 18, aber trotzdem teilweise hochproblematisch. Deshalb musste dieser hochgelobte Wein in diesem Jahr dran glauben. Mit 99 Punkten Nummer 2 auf James Sucklings weltweiter Top 1o0 Liste, 98 Punkte in der Vinum und selbst Sam Hofschuster ließ sich zu 97 Punkten hinreißen … ich war sehr gespannt.

Erstes Aufatmen: kein Kork. Zweites Aufatmen: keine bitteren Noten vom Hitzestress. Der Rest ist dann zurücklehnen und genießen. Der Wein ist die grandiose Kombination aus geradlinig, leise fruchtig und einem unglaublichen Tiefgang. Von der Anmutung mehr Westhofen als Mittelhaardt, aber das ist dann wohl das Alleinstellungsmerkmal in Königsbach. Ich habe mir gar nicht erst die Mühe gemacht Notizen aufzuschreiben. Ein Wein wie ein Gebirgsbach. Meinetwegen hätte man ihn auch noch ein paar Jahre liegen lassen können, aber auch jetzt zeigt er eine beeindruckend grandiose Performance. Ich bin zwar eher bei Sam Hofschuster als bei Stuart Pigott, aber jetzt schon ein Kandidat für einen der besten Weine des Jahres. Bei einer weiteren Person am Tisch geht der Wein als „schöner Sommerwein“ durch. Ich stimme voll und ganz zu ;). (€€€€)

Anmeldung zum Newsletter

Trag dich ein, um freitags jede Woche benachrichtigt zu werden, wenn ein neuer Beitrag gepostet wurde.

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert