Ich würde mich nicht als besonders organisierte Person beschreiben. Meistens kann ich mir all meine Termine merken, meine Unterlagen für die Uni sind auch in einem soliden Ordnersystem abgespeichert und die Einwahlzeiten für Vorlesungen und Seminare habe ich quasi noch nie verpasst …
Beim Wein ist das etwas anderes, denn ich habe wirklich von vorne herein beschlossen, jeden Wein, den ich probiere, in einer Excelliste zu tracken. Auf die Art kann ich bis heute nachvollziehen, wie sich meine Trinkgewohnheiten so entwickelt haben. In der Liste stehen nur die Weine, die ich selbst gekauft habe oder die von jemand anderem in einer Runde mitgebracht wurden – Messen und Verkostungen auf Weingütern zählen also nicht.
Zusätzlich zu den generellen Informationen über den Wein (Herkunft, Name, Rebsorte, Jahrgang, etc.), meiner Verkostungsnotiz samt Bewertung, ist die Liste komplett durchnummeriert. Letzte Woche wurde Wein Nummer 1000 eingetragen. Für manche ist das noch gar nichts, aber mir kommt das sehr viel vor. Dass dabei nicht jedes Mal von mir die ganze Flasche getrunken wurde, versteht sich hoffentlich von selbst.
Anlässlich dieser runden Zahl habe ich beschlossen sieben Weine herauszustellen, mit denen ich ganz bestimmte Ereignisse verbinde, und diese hier mal kurz zu erzählen. In den Zeiten, wo ich mich zeitlich gesehen nicht wirklich mit meinen gelegentlichen Anflügen von Amateurjournalismus beschäftigen kann, behandle ich diesen Blog einfach nochmal so wie er damals angefangen hat: als öffentliches Weintagebuch. Viel Spaß mit dieser kleinen Reise.
#1 – Markgraf von Baden „1112“ Spätburgunder Blanc de Noir 2019

Ja, der erste Wein in meiner Tabelle ist aus dem Supermarkt. Allerdings ging meine Reise durch die Weinwelt auch bei genau diesem Weingut in Durbach los. Ich weiß leider nicht mehr wie er geschmeckt hat, denn in meinen Notizen steht leider nur: „sehr süffig; mit Ross an einem Abend geleert„. Bei dieser deskriptiven Meisterleistung kann man froh sein, dass ich damals noch nicht Blog geschrieben habe :D. Falls sich jemand fragt, was der kleine grüne Haken unten links im Bild soll: So habe ich am Anfang unterschieden welche Weine ich nochmal trinken würde und welche nicht. Als ich dann tiefer in das Thema eingestiegen war und feststellte, dass die Unterteilung in „mag ich“ (grüner Haken), „find ich so meh“ (gelber Balken) und „bah, ist das widerlich“ (rotes X) nicht genügend Abstufungen bot, fing ich an mehrere grüne Häkchen zu vergeben. Es ging dann bis drei hoch und dann konnten noch Anteile an einem Häkchen verteilt werden. Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass ich auf diese Art und Weise mein eigenes 100er-System nachgebaut hatte. (€)
#58 – Remoissenet Bourgogne Rouge 2019

Mein erstes richtiges Wein-Wow-Erlebnis! Ich könnte jetzt sehr „pick-me“ werden und mich dafür besonders fühlen, dass ich, nicht so wie die anderen, dieses Erlebnis nicht mit Amarone, sondern mit Burgunder hatte, aber ich fand das damals wirklich grandios gut. Der 22-jährige Gero schreibt: „Wahnsinn! der Wein macht so viel Spaß; lang und komplex ohne überwältigend zu sein; könnte wahrscheinlich noch ein paar Jahre liegenbleiben macht aber jetzt auch schon Freude; das Beste was ich bis dato getrunken habe!„. Auch heute würde ich noch sagen, dass dieser kleine Bourgogne Rouge schon den ein oder anderen Premier Cru ausgestochen hat. Wirklich ganz fantastischer Stoff. Chapeau, Hendrik! Die 2 1/2 Häkchen (95 Punkte im 100er-System) würde ich ihm heute wahrscheinlich nicht mehr geben, aber man bewertet ja auch eigentlich immer den Moment mit und der war halt umgeben von guten Freunden einfach schön. (€€)
#241 – Schloss Lieser Niederberg Helden GG 2016

Wir machen einen großen Sprung und zwar hin zu meinem ersten perfekten Wein. Eben habe ich noch geschrieben, dass man auch immer den Moment mitbewertet und jetzt werde ich sagen, dass dieser Wein eigentlich in keiner besonders glücklichen Zeit für mich getrunken wurde. Ich vegetierte damals zu Coronazeiten in meinem Studentenwohnheim während meines Auslandsjahres in Southampton vor mich hin und wollte eigentlich einfach wieder nach Hause. Am Abend vorher hatte ich auch noch meinen ersten korkenden Wein überhaupt. Es konnte also nur besser werden … und wie: „Hui! erstes reinriechen beeindruckt stark; Moseltypizität ist definitiv vorhanden, kombiniert mit Orangenschalen, Pfirsich, Honig und wahnsinnig angenehmen floralen Tönen; das etwas malzige das angeblich typisch für die Lage ist hab ich, aber nicht stark ausgeprägt; Gaumen ist dicht, schlank, präzise; Abgang ist endlos; der Wein ist nicht ultra komplex, aber trotzdem ein Gigant; das ist groß, nein richtig groß; das kann man anders trinken aber nicht mehr besser!„. Der letzte Satz ist natürlich komplett von Sam Hofschuster abgekupfert, aber er trifft den Nagel eben auf den Kopf. Manche Weine sind einfach so groß, da muss der Moment vielleicht gar nicht so besonders sein. Trotzdem hätte ich dieses unglaubliche Zeug gerne mit Freunden geteilt. (€€€)
#444 – Domaine René Rostaing Côte-Rôtie „Ampodium“ 2015

Von einem der besten Weine, die ich je getrunken habe, zu einer unschönen aber lehrreichen Erfahrung: Dass teurer Wein nicht zwangsläufig gut schmeckt. Es klingt so plump, aber das muss jeder mal erlebt haben. Der Abend war zwar trotzdem ganz nett, aber 75€ für einen Wein ausgegeben zu haben, der mir eigentlich nichts anderes sagen konnte außer: „Ich bin übrigens karg.“, ist dann doch sehr ernüchternd. Seitdem bin ich immer etwas skeptisch was die Côte-Rôtie angeht, obwohl ich Syrah eigentlich ganz toll finde. Ich erhole mich Stück für Stück von der Ernüchterung. (€€€€)
#572 – Ökonomierat Rebholz Im Sonnenschein Riesling GG 2021

Genug Trübsal geblasen – zurück zum schönen Teil des Weinlebens. Für alle neueren Leserinnen und Leser des Blogs: Ich habe mal ein Semester ausgesetzt und bei Rebholz Praktikum gemacht. Dementsprechend werde ich wohl nie ganz neutral bei der Bewertung ihrer Weine sein. Das Besondere an genau diesem ist aber natürlich die Tatsache, dass ich an meinem ersten Tag in genau diesem Weinberg gearbeitet habe und jetzt so tue, als ich etwas dafür getan, dass es den Wein in diesem Jahrgang gibt. Wer meine kleine Erzählung über die Zeit in Siebeldingen lesen will, findet die hier. Ich liebe den Wein sehr, obwohl er nicht der beste Riesling ist den ich je getrunken habe 😉 (€€€€)
#753 – Álvaro Loza „Contacto“ 2022

Auf Spontanbesuch in der Rioja letzten Herbst bekamen meine Mutter und ich eine kleine Privattour durch die Weinberge und den Keller von Álvaro Loza: einem der rising stars der Region. Das war quasi mein erster Bericht über einen Winzer und sein Projekt. Ein paar Monate später trafen wir uns auf der Waliversum in Hamburg wieder und ich konnte erneut ein bisschen Werbung für diesen talentierten Mann aus Briñas machen. Die beiden roten, insbesondere den Einzellagenwein „Cien Reales“ aus Labastida sollte man mal getrunken haben, aber am spannendsten ist für mich der Orangewine „Contacto“ den Álvaro als Spielwiese benutzt um auch mal so etwas wie Florhefe bei Viura auszuprobieren. Der schönste Orangewine bisher: „Reife Orangenfrucht, viel Würze und obendrüber liegt eine Walnussnote der absoluten Extraklasse. Am Gaumen geht das genauso weiter. Ziemlich fruchtfern, trotzdem saftig und ein phenolischer Grip der unglaublich animierend wirkt. Zwei Minuten nach dem letzten Schluck spüre ich den Wein immer noch auf der Zunge„. (€€€)
#1000 – Tua Rita „Redigaffi“ 2015

Zum Jubiläum dann auch noch so was besonderes. Redigaffi war der erste italienische Wein mit 100 Punkten von Robert Parker. Ein reinsortiger Merlot aus Maremma, preislich längst im obersten Regal aber immer noch ziviler als Masseto. Ich habe den Wein blind eingeschenkt bekommen. Aromatisch bewegte er sich bei dieser sehr apart kühlen Graphitnote, bei dunkler Kirsche, etwas Cassis, Pflaume, aber auch bei grüner Paprika, weshalb ich erstmal schnurstracks in Richtung Cabernet-lastiger Supertoskaner gegangen bin. Die 15% sind da, aber einfach sehr gut eingefangen. Nach hinten raus könnte er etwas länger sein, weshalb ich jetzt spontan nicht bei 100 Punkten war, aber groß ist das allemal und mit Sicherheit der beste reinsortige Merlot den ich je hatte. Aber bei dem Preis muss er auch liefern. (📉)
Verändert sich mein Geschmack?
Vorgestern wurde ich gefragt, was ich denn gerne trinke. Gar nicht so leicht zu beantworten, wenn ich ehrlich bin. Ich probiere mich seit eh und je einfach immer durch alles durch was man mir gibt. Mir gefällt natürlich längst nicht alles, aber so ein klar definierbares Profil habe ich nicht – glaube ich. Ich hab dann Riesling, Nebbiolo und Chardonnay genannt, weil ich das tendenziell häufiger trinke als anderes, aber eigentlich fühlte sich das verkehrt an. Mein Keller ist eine komplett wilde Zusammenstellung aus Weinen, die ich kennenlernen will, Stilen die ich mag, aber mich nicht vollständig drauf beschränken will und sonst so allem wo ich mal spontan Bock drauf hatte. Systematik beim Weine dokumentieren? Auf jeden Fall! Systematik im Keller? Fehlanzeige! Ich weiß noch nicht wirklich wann ich an den Punkt komme mich mal auf ein paar Typen festzulegen. Vielleicht wenn ich mit dem Referendariat durch bin und auch mal anständig Geld verdiene. Bis dahin erkunde ich weiterhin alles was geht und ihr müsst euch im Zweifel auch noch etwas darüber anhören. In diesem Sinne: Auf die nächsten 1000! 😉
2 Antworten auf „Aus 1000 und einem Wein“
…ich bin nun jenseits der 60 und vorliebenmäßig bin ich immer noch im Fluß. Dementsprechend hat sich auch im Keller keine Konstanz eingestellt und ich gehe auch nicht davon aus, daß das noch was wird. Würde auch langweilig werden, denke ich…
Ja, nein, jein … Experimentelle Sachen und Neuentdeckungen werde ich auch natürlich weiterhin suchen und kaufen. Aber ich hätte gerne so eine gute Grundlage von Weinen bei denen ich ungefähr weiß wie sie sich entwickeln und die ich einfach verlässlich mag. Eben so, dass ich davon nicht immer erst etwas kaufen muss wenn ich mal Lust drauf habe.