Bevor ich demnächst endlich wieder über Themen schreiben kann, die mir wirklich am Herz liegen, muss ich heute nochmal etwas dazwischenschieben. Damit das ganze aber nicht zu trist und nüchtern wird, gibt’s zwei schöne Weine aus der letzten Woche als Entschädigung.
Das Thema Becker
In meinem letzten Beitrag habe ich über mein nostalgisches Erlebnis 2021 in Schweigen bei den Beckers erzählt. Wenige Tage nach der Veröffentlichung erfuhr ich dann im Blindflug, dass das Ableben von Herrn Becker sehr kontrovers behandelt wurde. Dabei ging es um sehr rechte politische Meinungen – sowohl vom Vater als auch vom Sohn. Das hat mich ehrlich gesagt sehr schockiert und sehr überrascht, denn ich hatte das selber nie mitbekommen.
Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich das noch einmal thematisieren oder einfach so stehen lassen sollte. Jetzt kann ich sagen: Der Beitrag bleibt online. Die Erinnerung ist Teil meiner persönlichen Geschichte – und die Verdienste von Herrn Becker um den deutschen Pinot werden von seiner politischen Einstellung nicht geschmälert.
Trotzdem war es für mich Anlass genug, eine Entscheidung zu treffen: Ich werde in Zukunft kein Kunde dieses Weinguts mehr sein. Wein muss zwar nichts Politisches sein, aber bei gewissen Haltungen endet für mich die Toleranz. Und wenn ich als kleiner Blogger die Wahl habe, über wen ich schreibe und was ich trinke, dann wähle ich lieber Produzent:innen, deren Haltung ich guten Gewissens mittragen kann.
Wein ist Mathe-Traumabewältigung
All diejenigen unter euch, die in der Schule auch keine Mathecracks waren, kennen diese Situation. Ihr sitzt in einer Klassenarbeit und euer Lehrer geht so durch die Reihen und bleibt neben euch stehen. Er schaut auf euer Heft und deutet mit dem bösen roten Kulli auf eine Aufgabe. Er schaut euch freundlich, aber kritisch an und sagt: „Lies die Aufgabenstellung nochmal und denk mal darüber nach“. Bei euch bricht natürlich Panik aus, denn ihr seht vor eurem geistigen Auge schon die schlechte Note auf euch zukommen. Was bei Mathearbeiten zumindest manchmal dabei hilft auf die richtige Lösung zu kommen, kannst du beim Blindverkosten getrost in die Tonne kloppen!
Wer gerne das allseits geliebte Spiel „Blindverkostung“ spielt, der weiß ganz genau, dass der erste Eindruck meistens der richtige ist. Nicht jeder Wein gibt mir beim ersten Riechen so eine ganz klare Idee der Herkunft, aber wenn, dann gehe ich meistens damit. So war das auch Anfang letzter Woche beim Weintrinken mit meinem Freund Moritz.
Mittleres Ziegelrot, das an den Rändern etwas bräunlich wird, eine ganz klare Kirschfrucht, die mich sofort nach Italien schickt, hoher aber gut integrierter Alkohol, dazu ein touch Veilchen und ein sehr feiner aber wirklich ordentlich schmirgelnder Gerbstoff: Alles deutete für mich auf gereiften Barolo. Kein großer Wein, aber einfach sehr schön. Jahrgang 2013 sitzt und ich bin mir schon siegessicher. Dann die Auflösung: Brunello. Die erste Enttäuschung geht schnell vorbei, denn auch Sangiovese kann mal so schmecken wie dieser Col d’Orcia Brunello di Montalcino, aber das weiß ich nur in der Theorie. Praktisch ist das mein erster Brunello den ich nicht auf einer Messe ohne die nötige Ruhe verkoste und die paar Rosso di Montalcino qualifizieren mich nicht zum Sangioveseprofi. Weiterhin habe ich auch nach fast fünf Jahren Weinreise große blind spots auf der Weltweinkarte. Schön, dass ich einen davon jetzt mal abhaken konnte. (€€€)

Auf der Suche nach dem verlorenen GTR
GTR? Nein, gemeint ist nicht der grafikfähige Taschenrechner, den wir damals in der 9. Klasse anschaffen mussten. Eigentlich waren die Dinger dazu da um uns Themen wie Kurvendiskussion besser zu vermitteln. Letztendlich hat aber ein Klassenkamerad innerhalb einer Woche herausbekommen, wie man das Betriebssystem jailbreakt und wie man mithilfe eines GameBoy Advanced-Emulators auf dem kleinen Taschenrechner-PC im Unterricht unbemerkt Pokemon Smaragd spielen konnte. Schon wieder Mathe? Ja sorry, ich krieg‘ sofort die Kurve.
GTR steht für „großer trockener Riesling“ und ist DAS Stichwort in Carsten Henns Buch „Der Mann, der auf einen Hügel stieg und von einem Weinberg herunterkam„. Anfang des Jahres habe ich meine *enorme* Instagram-Gefolgschaft gefragt, welche Weinbücher man unbedingt gelesen haben sollte. Innerhalb von 24 Stunden stand eine beachtliche Liste von Buchempfehlung, die ich seitdem Stück für Stück abarbeite und über eins davon berichte ich hier kurz.
In dem Buch folgen wir dem Autor eigentlich als Chronisten auf seiner weinbaulichen Selbstfindungsreise durch die Spitzenweingüter Deutschlands, wo er jeweils einen der klassischen jährlichen Arbeitsschritte bei der Weinproduktion mitmacht. Bei Familie Keller in Flörsheim-Dalsheim lernt er A, bei Heymann-Löwenstein B und bei Kühns C. Alles steht im Zeichen seines eigenen misslungenen Versuchs in einem Weinberg an der Mosel selber einen GTR zu keltern.
Ich mochte das Buch persönlich zwar gerne, aber es ist auch keine literarische Sternstunde. Die Geschichten von den beliebten deutschen Winzer:innen sind Wasser auf die Mühlen der Rieslingfans, aber eigentlich leider gar nicht so viel mehr als die mantraartige Wiederholung der immergleichen Satzbausteine über Geduld, Balance oder Qualität, die wir alle gerne hören. Am Ende ist man eigentlich genauso schlau wie zuvor, aber dafür hat man das Gefühl, als hätten wir mit dem Autor und den Winzern am Tisch zu Abend gegessen und über Riesling philosophiert. Mich kriegt man offenbar damit. Naja, jedenfalls passt das Buch hervorragend zum zweiten Wein des Abends nach meiner Brunello-Premiere.
Ich gestehe ja gerne, ich bin ein kleiner Wittmann-Fanboy. Bisher habe ich zwar noch nie einen seiner Weine unter meinen jährlichen Favoriten gehabt, aber ich liebe die Stilistik der Rieslinge sehr. Nachdem der Niersteiner 1G 2020 letztes Jahr die Probe gewonnen hatte und sich dabei auch gegen die Aulerde aus gleichem Jahr durchgesetzt hatte, wollte ich vor der five years after Probe der 2020er GGs im Herbst nochmal ein bisschen in die Entwicklung des Jahrgangs reinschmecken. Meine Vermutung scheint aufzugehen, denn an diesem Abend strahlt Wittmanns Kirchspiel GG hell am Bonner Nachthimmel. Eine kleine Sturzbehandlung und zwei Stunden Luft knacken eine so wunderbar geschliffene Frucht aus dem Kern dieses Meisterwerks heraus, dass ich mich jetzt schon wie Bolle auf die Probe freue. Welcher Wittmann dann vertreten ist erklärt sich hoffentlich von selbst. Dieser hier trägt absolut zu Recht den Titel „Ganz toller Restzucker“ 😉 … zwei Gramm sind’s nur. Also wirklich trocken und definitiv „groß“. (€€€€)
2 Antworten auf „Brunello, GTR und ein kurzer Nachtrag“
Ja, Becker…
Mir war das auch völlig unbekannt und ich habe nach der Blindflug-Folge denselben Entschluss gefasst wie Du, austrinken ok aber wenn weg, dann weg.
Zum einen gibt es genug Alternativen, aber selbst wenn die nicht vorhanden wären möchte ich beim trinken kein schlechtes Gewissen bekommen.
Danke für das ReCap.
Michael
Danke, Gero für deinen Nachtrag zu Becker! Mir ging es genauso und auch ich habe die Entscheidung getroffen, das was noch im Keller liegt zu trinken und sonst nicht mehr nachzukaufen.
Ich freue mich über deine Bewertung vom Kirchspiel 20, das steigert die Vorfreude.
VG, Nora