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Das Rotwein-Spektrum

Nachdem Corona mich letzte Woche nach drei Jahren auch mal erwischt hatte, kann ich mich endlich wieder mit schöneren Dingen beschäftigen.

Situationalität

Ich weiß, das Wort klingt echt seltsam. Es drückt aber ganz gut ein Gefühl aus, das ich diese Woche hatte. Den Umstand, dass manche Weine besser zu gewissen Situationen passen als andere.

Ich bin gerade zu Besuch bei meiner Mutter und weil ich weiß, dass sie gerne Rioja trinkt, habe ich passend zum recht deftigen Abendessen eine Flasche ausgewählt, bei der man sich eigentlich ein großes Weinerlebnis erhofft. Der Granja Remelluri 2009 von Telmo Rodriguez hat eigentlich alle Voraussetzungen für einen großen Wein. Einen Top-Jahrgang, einen Spitzenwinzer und mit knapp 14 Jahren Reife auch ein ganz gutes Trinkfenster. Was soll ich sagen? Das war echt guter Wein, der auch perfekt zum Steak gepasst hat, aber der wow-Moment blieb leider aus. Für dieses Essen war es der perfekte Begleiter, aber darüber hinaus hatte ich mir schon etwas mehr erhofft. Ich habe Weine mit längerem Holzfassausbau irgendwie auch ein wenig als ‚Kaminweine‘ abgespeichert, die man nicht in großen Schlucken, sondern eher gemächlich trinkt und sich dabei an der großen Komplexität und Aromendichte erfreut. Das kann man jetzt blöd finden, aber ich mache das gern mal so, auch wenn ich nicht wirklich einen Kamin habe. Allerdings fehlte dem Wein einfach dieses gewisse Etwas, diese Tiefe, die man gern langsam erkunden möchte. Sowas ist bei diesem Preispunkt nur dann leider nicht genügend, denn einen kräftigen spanischen Rotwein mit Gerbstoff und einer tollen kirschigen Frucht, der super zum Steak passt, bekommt man auch für weit weniger als das, was man für einen Granja Remelluri hinlegen muss. Ein bisschen schade, aber dafür habe ich wieder was gelernt.

„Glou-Glou-Wine“

Ganz ganz komisches Thema. An die Experten unter euch: Korrigiert mich bitte, wenn ich hier Unsinn erzähle. Dieses „Glou Glou“ steht lautmalerisch für das Geräusch, das beim zügigen Trinken im Hals entsteht. Es geht also bei Weinen dieser Kategorie auch um einen gewissen Trinkfluss. Dazu kommt meistens noch, dass diese Art von Wein gerne mal der anderen Kategorie „natural wine“ zugeordnet wird, da das jetzt aber ein viel zu großes Fass aufmachen würde, werf ich das jetzt erstmal einfach nur so in den Raum.

Eigentlich finde ich, dass dieser relativ plumpe Begriff dem Wein meistens nicht wirklich gerecht wird, weil da häufig doch noch mehr Anspruch und Kontext hinter steht, aber ich gebe zu, dass ich die meisten dieser Weine in einem extrem hohen Tempo leeren könnte.

Noch einmal zurück zur „Situationalität“. Am Tag nach der leichten Rioja-Enttäuschung habe ich ein bisschen Zeit daran verwendet mir einen neuen Wein für den Blog auszusuchen. Das war an einem sonnigen Nachmittag bei 15°C und man hatte fast schon das Gefühl, dass der Frühling bald endlich wieder da ist. Aus dieser Stimmung fiel die Wahl dann auf diesen Wein.

Der Wein

Atanasius 2020 vom Gut Oggau ist einerseits eine burgenländische Cuvee aus Blaufränkisch und Zweigelt, aber der Weingutsphilosophie nach ist er noch viel mehr als das. Das minimalistische Etikettendesign und die gesamte öffentliche Kommunikation der einzelnen Weine entspringen der Feder der Werbeagentur Jung von Matt. Wie man auf dem Foto gut erkennen kann, besteht beinahe das ganze Etikett aus der Zeichnung eines jungen Mannes, welcher recht ernst schaut. Das Grundprinzip findet sich bei allen Weinen vom Gut Oggau, denn sie kategorisieren ihre Weine weder nach burgundischem Herkunftssystem, noch nach traditionell deutscher Öchslegradation, oder gar nach napoleonischer Preisabstufung à la Bordeaux-Klassifizierung von 1855.

Die Weine aus jungen Weinbergen werden von einem jugendlichen Gesicht repräsentiert, die Weine aus älteren Weinbergen von einem älteren und die Weine aus richtig alten Weinbergen von Gesichtern aus der Großelterngeneration. Je markanter die Weine werden, desto markanter und ausgeprägter werden auch die Gesichter. Ziemlich genial gemacht muss ich sagen.

Gut Oggau ist inzwischen eigentlich schon wirklich gut etabliert und zu Recht berühmt. Sie arbeiten extrem nachhaltig, naturverbunden, biologisch, biodynamisch und vor allem „minimalinvasiv“. Das heißt der Wein wird ungeschönt, unflitriert und ohne Zusatz von Schwefel gefüllt. Der Ausbau findet in 500, 1000 und 3000 Liter Fässern statt, wobei man hier, ganz im Gegenteil zum Rioja, quasi keinen Holzton findet.

Es sei mal kurz angemerkt, dass wahrscheinlich sowohl die Winzer, als auch Hendrik Thoma als Händler mir wahrscheinlich vehement widersprächen, wenn ich den Atanasius bei den „Glou-Glou-Weinen“ nennen würde. Sicherlich auch zurecht, aber es sei im Folgenden mal kurz erläutert, warum er trotzdem einige Gemeinsamkeiten mit diesen Weinen hat.

Im Glas

Er profitiert zwar definitiv von etwas Belüftung, aber trotzdem: Beim ersten Reinriechen geht „sowasvon“ die Sonne auf. Farblich ist das sehr hell, aber mehr violett als richtig rot. In der Nase kühl mit einer erdbeerigen Kirschfrucht. Man muss schon sagen, dass der Wein nichts für zart besaitete ist, denn gerade in der Nase ist der Wein wirklich wild und „natural“. Bordeauxs können gerne mal ein bisschen nach Stall riechen. Das hat dieser Burgenländer hier auch, aber ganz anders ausgeprägt. Vielleicht auch, weil ihm die ganze Ebene von Leder, Zigarrenkiste usw. fehlt.
Den Gaumen finde ich unglaublich spannend, denn der Wein hat, Achtung Klischee, etwas burgundisches. Ja, ich kann es auch nicht mehr hören, aber, auch dank seiner sagenhaften 12% Alkohol, macht die frische Säure genau diesen „burgundischen“ Ritt auf der Rasierklinge zur Unreife. Glücklicherweise gelingt das aber so gut, dass man an einem solchen frühlingshaften Tag die Flasche zu zweit oder zu dritt auch mal gut und gern in einer halben Stunde wegziehen könnte. Darüber hinaus ist der Wein sehr saftig und hat nach hinten raus sogar noch ein bisschen Reste von Gärkohlensäure, die nicht rausfiltriert wurden. Das gibt dann noch den allerletzten Frischekick.

Der Atanasius ist quasi der rote Basis-Wein von Stephanie und Eduard Tscheppe-Eselböck (starker Name übrigens), aber ich finde ihn weit besser als die meisten Einstiegsrotweine. Man merkt einfach, dass da ein tolles individualistisches und nachhaltiges Konzept hinter steckt, das aber auch seinen Preis hat. Den ist er zweifelsohne Wert, aber momentan könnte ich mir davon keine 12-er Kiste in den Keller legen, selbst wenn ich wollte. Dafür weiß ich in Zukunft auf jeden Fall was der Stoff kann. (€€)

Um zum Schluss noch kurz auf den Titel des Beitrags zurückzukommen. Meiner Meinung nach repräsentieren diese beiden Weine eigentlich ganz gut zwei gegensätzlichen Pole der Rotweinwelt. Der eine ist der klassischere, ernsthaftere Rotwein mit klarer geschliffener Frucht, etwas sanfterer Säure, recht viel Tannin und erst mit einem gewissen Alter gut. Der andere versprüht Leichtigkeit und Trinkfreude. Er kommt dafür mehr über die Frische, die Säure und die Saftigkeit. Das Schöne an der Sache ist, dass beide Weine vollkommen ihre Berechtigung, aber auch vor allem ihren Anlass haben zu dem sie passen.

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