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€€ Weintagebuch

Flutwein

Erster Jahrestag

Heute vor einem Jahr löste extremer Starkregen in einigen Gebieten im Westen Deutschlands massive Überschwemmungen aus. Eine der am meisten betroffenen Regionen war das Ahrtal. Dort hat die Flut viele Opfer gefordert und zahllose Häuser überschwemmt, verwüstet und zerstört. Die Region lebt zu einem Großteil vom Weinanbau und dem damit verbundenen Tourismus. Letzteres fiel seitdem weitestgehend flach und muss mitsamt der Infrastruktur neu aufgebaut werden. Auch die Winzer haben zu einem großen Teil mehr als gelitten. Einigen ist vom Jahrgang 2020 nur noch eine Handvoll Fässer geblieben. Wer seine Keller und Lagerhallen in der Nähe des kleinen Flusses hatte, konnte je nach Beschaffenheit der Halle zwar noch einiges retten, aber sämtliche Arbeitsgeräte, Tanks und vor allem auch Flaschenlager wurden komplett vom Schlamm überzogen.

Dernau

Ich bin absolut nicht dafür qualifiziert mich hier zum Chronisten der Ereignisse aufzuschwingen, aber da ich wenigstens ein kleines bisschen vor Ort war um beim Wiederaufbau zu helfen, habe ich ein klein wenig Einsicht bekommen. Über die Freundschaft zu Menschen, die beim Weingut Kreuzberg in Dernau arbeiten, habe ich einen Kontakt gehabt, um vor Ort gezielt mithelfen zu können. Ich war am fünften Tag nach der Flut vor Ort daran beteiligt den Keller des Weinguts vom Schlamm zu befreien und einige Tage später haben wir die ersten geretteten Flaschen gesäubert und gewaschen. Alleine diese zwei Tage waren wahnsinnig intensiv und eindrucksvoll, aber es reicht nicht einmal ansatzweise aus, um verstehen zu können, was in den Köpfen derer vorgeht, die fast ihre komplette Existenz an die Fluten verloren haben. Am beeindruckendsten aber war der Zusammenhalt der Menschen dort. Wenn man sich heute nicht nur in den Nachrichten einigen Ortes das Zusammenleben bzw. das nicht-Zusammenleben einiger Menschen ansieht, so kann man manchmal anfangen an der grundsätzlichen Idee von Gemeinschaft zu zweifeln. Und dann kommt man in das völlig verschlammte und kaputte Dernau ein paar Tage nach der Flut und man gewinnt wieder an Glauben in die Menschheit. Es war völlig egal, wer du warst und wo du herkamst, alles, was dort zählte, war, dass du dort warst und Menschen, die du teilweise noch nie vorher gesehen hattest, dabei geholfen hast ihre Existenz wieder aufzubauen. Zusammen standen Bewohner des Dorfes gemeinsam mit wildfremden Helfenden, aber auch mit u.a. Bundespolizisten in einer Kette und leiteten hunderte von Eimern voller Schlamm vom Haus aus nach draußen uns sobald abends die Arbeit beendet wurde, fuhren wieder andere Menschen durch die nunmehr halbwegs befahrbaren Straßen und verteilten Essen an alle, die es brauchten. Ich bin selten so schockiert, aber auch selten so positiv ergriffen gewesen. Wohlgemerkt, dass ich am Abend nach der Arbeit innerhalb von ungefähr einer halben Stunde wieder im fast unbetroffenen Bonn ins Bett gehen konnte.

Der Wein

Ich möchte definitiv auf die Lage der Winzer von der Ahr aufmerksam machen, aber trotzdem soll es in diesem Blog vorrangig um Wein gehen. Der heutige ist, oh Wunder, ein Rotwein von der Ahr. Es gibt Walporzheimer Frühburgunder 19 vom Weingut H.J. Kreuzberg. Frühburgunder steht immer im Schatten des Spätburgunders, aber hier an der Ahr wachsen ganz hervorragende Frühburgunder. Diese Flasche ist zwar vergleichsweise gut sauber geworden, aber auch hier ist noch ein Rest Schlamm übrig geblieben.

Die Reben stehen im Gegensatz zu denen der großen Spätburgunder nicht in den großen steilen Schieferterrassen der GG-Lagen von Walporzheim, da es dem Frühburgunder dort schon zu warm wird. Die flachere, kühlere Lage ist deswegen besser geeignet.

Im Glas

Farblich ist der Wein sehr leicht, beim ersten Reinriechen verfliegt aber der Eindruck eines vermeintlich leichten Weins schnell. Das hat Tiefe, etwas typische Beerenfrucht, aber hauptsächlich überrascht der burgundische Waldboden- und Pilzton. Blind in einem schwarzen Glas hätte ich das wahrscheinlich erstmal ins Burgund gesteckt. Obwohl dieser Wein natürlich Holz gesehen hat, ist dieses aber sehr zurückgehalten und wirkt auch so nach drei Jahren Reife schon gut eingebunden. Am Gaumen ist er sehr saftig, mit einer schönen Frucht. Nach hinten raus dominiert dann der sehr feine Gerbstoff, was direkt zum nächsten Schluck animiert. Für einen Ortswein kann sich die Länge des Abgangs definitiv sehen lassen. (€€)

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