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Weintagebuch

Frischer Wind im Rheingau

Establishment und Avantgarde

Wer an den Rheingau denkt, der denkt im Zweifelsfall zuerst an die großen Namen der Region. Kloster Eberbach, Schloss Johannisberg, Schloss Vollrads … allesamt alt eingesessene Weingüter, die aber ganz massiv zur Bekanntheit und zum Renommee des Anbaugebiets beigetragen haben. Abseits der Klöster, Schlösser und Burgherren muss man natürlich genauso die Betriebe nennen, die in den letzten Jahrzehnten, und natürlich auch darüber hinaus, den Rheingauwein geprägt haben. Ich denke dabei an Weil, Breuer, Kühn und Künstler, aber es zählen sicher noch einige weitere dazu.

Allerdings hatten es bis zuletzt kaum Rheingauer Weingüter in meine Filterblase geschafft, die repräsentativ für einen jüngeren Stil stehen. Das ist z.B. in der Pfalz ganz anders. Über Seckinger, die sich in den letzten Jahren zum längst-nicht-mehr-geheimen Geheimtipp gearbeitet haben, habe ich hier im Blog schon geschrieben. Aber auch darüber hinaus treten dort seit einigen Jahren Winzerinnen und Winzer ins Rampenlicht, die mit neuen und unkonventionellen Weinen die teils etwas eingeschlafenen etablierten Weingüter aufmischen. Unbedingt genannt werden müssen da meiner Meinung nach unter anderem Scheuermann, Dennis Wolf, Eymann, Mehling, Lukas Hammelmann, Jülg und Odinstal. Diese haben sich ihren Platz teilweise sogar bis an vorderster Front des Anbaugebiets verdient und bieten somit unheimlich spannende Alternativen zu Bürklin-Wolf, von Buhl usw.

In Rheinhessen ist es eigentlich gleich, mit der Ausnahme, dass die etablierten Spitzenbetriebe wie Battenfeld-Spanier (und Kühling-Gillot), Wittmann, Keller, Wagner-Stempel etc. auch erst in den letzten 20 Jahren so richtig groß wurden, während z.B. Bürklin-Wolf schon deutlich länger eine Institution der Region darstellt.

Warum also nicht auch im Rheingau? Ich muss gestehen, dass ich die Strukturen dort nicht gut genug kenne, um darüber irgendeine Prognose abzugeben, aber ich verfolge seitdem eine andere Herangehensweise. Ich versuche die potenziellen neuen Weils und Kühns einfach selbst zu finden.

Das Weingut

Während meiner kurzen Zeit als Lesehelfer bei der Weinlese 2022 in Rüdesheim habe ich mit dem Weingut Dillmann einen ersten Kandidaten dafür gefunden. Das Vater-Söhne-Gespann aus Karlo, Marcel und Marius Dillmann hat seinen Standort am oberen Ende von Geisenheim und bewirtschaftet seit 1980 eigene Weinberge. Inzwischen sind es zwölf Hektar, die sich von Assmannshausen im Westen bis nach Winkel im Osten erstrecken. Obwohl das Weingut nicht biologisch zertifiziert ist, setzt man auf gezielte Begrünung statt auf Kunstdünger und verzichtet ebenfalls auf Herbizide.

Der Wein

Eigentlich wollte ich einen anderen Wein vorstellen. Es war ein Rosé namens „Jana Türlich“, der ungefiltert, leicht trüb und unglaublich trinkig war. Er war außerdem knochentrocken, aber dafür mit einer knackigen Säure und viel Frucht. Das alles machte ihn echt spannend, ohne dabei ins völlig Wilde abzudriften. Allerdings gab es da zwei Probleme. Einerseits hab ich vergessen ein Foto von der Flasche zu machen, um die Farbe zu zeigen und da ich von diesem Wein nur eine Flasche mitgenommen hatte, war ich ein bisschen aufgeschmissen. Ich konnte aber andererseits auch nicht einfach eine Flasche nachbestellen, weil auf einmal richtiges Herbstwetter einsetzte und ich diesen prototypischen Sommerwein lieber zur richtigen Jahreszeit vorstellen wollte. Also, was macht man da? Man stellt den Wein im nächsten Sommer vor und präsentiert jetzt erstmal etwas anderes.

Etwas anderes ist in diesem Fall aber kein Stück schlechter. Es gibt Riesling Geisenheimer Kläuserweg 21, also einen Lagenwein, vom Weingut Dillmann. Selbst wenn man bei der Nennung des Rheingaus einen gänzlich anderen Betrieb vor Augen hat als die, die ich eben genannt habe, denkt man aber trotzdem eigentlich zwangsläufig an Riesling. Dillmanns vergären die Lagenweine spontan und lassen sie mindestens für sechs Monate auf der Hefe.

Im Glas

Während einige Winzer ihre GGs und Lagenweine möglichst lange hängen lassen und somit sehr reife und teils voluminöse Rieslinge erzeugen, andere eher mit BSA und Burgund flirten, so ist das hier ein ziemliches Gegenprogramm dazu. Der Wein ist vielmehr kräutrig und hat durch ein wenig Heu und Stroh-Anmutung fast etwas von einem Silvaner. Gleichzeitig ist die Säure aber sehr präsent, ohne bissig zu werden. Dem kühlen Jahr geschuldet hat der Wein knapp 6g Restzucker, lässt es sich aber glücklicherweise kaum anmerken. Darüber hinaus hat er in der Nase etwas ganz leicht Mostiges, was man bei „klassischem“ Rheingau-Riesling eigentlich kaum findet, das mir aber persönlich gut gefällt. Ihm fehlt im Abgang ein bisschen an mineralischem Biss und Länge, was mich davon abhält das ganz groß zu finden.

Nichtsdestotrotz ist das, gerade in Anbetracht des Preises, ein extrem spannender Riesling. Ich habe null Erfahrungswerte, um vorhersagen zu können, wie das mal reift, aber ich bin mir sicher, dass das so in ca. fünf Jahren noch mehr Spaß macht. Er lässt sich aber trotzdem auch jetzt schon gut trinken, was man ehrlich gesagt nicht bei jedem 21er behaupten kann. Wer nach Abwechslung und Alternativen der „klassischen“ Stilistik sucht, der wird hier absolut fündig. (€)

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