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Weintagebuch

Große Weine ohne großen Ruf

Nach diesem sehr langen Blogbeitrag von letzter Woche kommt heute etwas ganz Einfaches. Ich hatte einen Wein im Glas und fand ihn gut. Das mag angesichts des Weins und was er konnte vielleicht die Untertreibung des Jahres sein, aber im Prinzip ist es eigentlich genau das.

Im Schatten des Barolo

… wächst so viel grandioser Weißwein. Während ich im Bericht über die Waliversum noch meine Liebe für südafrikanische Weine bekundet habe, kann ich heute nochmal über meine andere Lieblingsregion sprechen: das Piemont. Spätestens seitdem ich letztes Jahr im Herbst auf eine Weinreise durch das Piemont eingeladen war, habe ich festgestellt, wie toll nicht nur die großen roten, sondern insbesondere auch die teilweise völlig unbekannten weißen Weine sein können. Dabei sind gerade die autochtonen weißen Sorten so spannend, die bei dem ganzen Rummel um die piemonteser Chardonnays gerne hinten runterfallen. Das, für mich, beste Beispiel für diese Weine war bisher immer Timorasso. Die Weißwein-Sorte, die tatsächlich auch ein bisschen internationale Aufmerksamkeit über Luca Roagna und Walter Massa erhalten hat. Aber auch Nascetta hat es mir wirklich angetan und auch bei Arneis und Gavi findet man gelegentlich tolle Weine.

Seit letzter Woche aber habe ich eine weitere Sorte auf dem Zettel: Caricalasino. Sie war mal fast komplett ausgestorben und steht heutzutage nur auf etwa fünf Hektar im Bereich Alessandria. Witzigerweise gibt es einen reinsortigen „Carialoso“ vom Weingut Marenco in Strevi, das ich letztes Jahr sogar besucht habe. Damals haben wir allerdings andere (sehr gute) Weine aus dem Sortiment probiert. Entgegen der Informationen von wein plus oder dem Glossar von wine-searcher.com benennen sowohl der Macher des heutigen Weines, als auch Marenco Caricalasino als Synonym für Barbera Bianca. Da ich absolut kein Rebgenetik-Experte bin, weiß ich aber leider nicht, wer recht hat.

Caricalasino reift ziemlich spät (30 Tage nach dem Gutedel für die Nerds, die es interessiert) und kann ohne Ertragsreduktion durchaus als Massenträger durchgehen. Aber wenn man das so gut hinbekommt wie der gute Herr Ghio in diesem heutigen Wein, dann soll mir das egal sein ;).

Der Wein

Aus dem Vipino-Sortiment von Schnutentunker-Herausgeber und Weibweinlehrer Felix Bodmann kommt der Zané 2020 von Roberto Ghio. Bodmann hat über mehrere Reisen in die unterschiedlichsten Anbaugebiete immer wieder Weine aufgetan, die ihn schwer beeindruckt haben, aber keinen Vertrieb hier haben. Als deutscher Blogger ist das natürlich die Vollkatastrophe, wenn du über Weine schreiben willst, die man in Deutschland nicht kaufen kann. Also wurde der Import einfach in die eigenen Hände genommen.

Roberto setzt auf biologische Bewirtschaftung seiner Weinberge. Sein Zané wird im Stahltank ausgebaut und gärt komplett durch. Das wird später noch relevant. Die Klarglasflasche lässt nicht darauf schließen, dass der Wein gerne reifen kann und auch darf. Das ermöglicht die wirklich regional untypisch kräftige Säure von 6,3 g/l.

Im Glas

Ein Wein mit Überraschungseffekt. In der Nase kreidig, mit etwas Petrol, helles Steinobst, Zitrus, Orangenabrieb, ein bisschen Gummi? Mit mehr Luft kommt tatsächlich Nuss, aber nicht die Holz-Nutella-Nuss. Beim Timorasso finde ich gerne mal diese leicht bittere Mandarine. Die finde ich auch hier wieder. Scheinbar haben manche weißen Piemonteser das gemeinsam. Das hat schon etwas minimal Medizinales, was mich gerade ein bisschen an Gräfenberg GG 20 erinnert. Ich glaube, Felix nennt das malzig-rauchig? Das hier ist aber definitiv aromatisch bei Riesling-GG. Ja, ich nenne da auch explizit das „GG“ mit, denn die Intensität und die Tiefe in diesem Wein finde ich selten in Ortsweinen und Ersten Lagen. Am Gaumen fast süßfruchtig, obwohl knochentrocken (0,5 g Restzucker auf den Liter). Die Säure ist sowohl zupackend als auch gut integriert. Außerdem dominiert sie den langen Abgang. Wirklichen Gerbstoff finde ich persönlich kaum, aber das mineralische Schmirgeln ist schon vorhanden. Felix Bodmann vergleicht die Aromatik mit einer Kombination aus klassischem Halenberg und Silvaner aus kühlem Jahr. Blöd, dass ich noch keinen Halenberg getrunken habe, aber ich könnte den 21er Halgans aus meinem Keller schon demnächst mal viel zu früh aufmachen 🤔.

Mein Appell an euch: Trinkt das nicht zu kalt! Fast alles Oberflächliche an dem Wein schreit überhaupt nicht nach komplexem, lagerfähigen Wein, aber lasst euch nicht täuschen. Das ist kein Alternativ-Lugana zum bei 4°C wegschlotzen. Für mich grenzt das fast an „groß“, aber ich bin auch einfach ein großer Fan von weißem Piemont. Wenn man sich aber mal kurz daran erinnert, dass dieser Wein knapp 12€ kostet, dann kann man das eigentlich nur grandios finden. (€)

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2 Antworten auf „Große Weine ohne großen Ruf“

RICHTIG GUT GESCHRIEBEN. VERKOSTUNGSNOTIZEN WÜRD ICH 100% UNTERSCHREIBEN. MAN MUSS HIER EINFACH AN RIESLING DENKEN, RHEINGAU ODER AUSTRALIEN IN SEHR GUT. BESTECHENDER DRUCK. NUR DIE ETWAS FRAGLICHE AUSSTATTUNG NERVT EIN BISSCHEN. ABER GUT: CHATEAU MUSAR ODER TONDONIA IN WEIß IST JA AUCH IN DER DURCHSICHTIGEN FLASCHE 😉

Manchmal muss man sich tatsächlich von der Ausstattung lösen. Aber irgendwie ist das nochmal eine Spur spannender, wenn man einfach nicht mit so viel Wein gerechnet hatte 😉

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