Der Kontrast von 28 °C am Strand in Spanien zu 4 °C in Deutschland war groß. Während ich quasi noch vor ein paar Tagen sommerlich Albariño, Verdejo & co genossen habe, hat der Herbst Einzug erhalten. Auch jetzt morgens um 10:00 Uhr hängt der Nebel noch dicht über den Dächern der Marburger Oberstadt. Diese Stimmung ruft dann doch verstärkt nach „Herbstweinen“, die man schön am Kamin oder ähnlichem trinken kann. Schade, dass mein Studentenzimmer keinen Kamin hat. Den passenden Wein habe ich aber definitiv.
Das Alto Piemonte
Man findet ja wirklich inzwischen über alles Memes, aber als ich vor ein paar Monaten ein paar davon aus der „Wein-Bubble“ gefunden habe, war ich dann doch überrascht. Zwei habe ich gefunden, die wunderbar zur aktuellen Stimmung passen:
Da ich mir Rinaldi leider nicht leisten kann, aber trotzdem „bis 3 Uhr morgens Barolo ballern“ möchte, muss ich mich nach Alternativen umsuchen. Aber die gibt’s zum Glück haufenweise im Piemont. Vielleicht nicht ganz so fancy und gehyped, aber sicherlich nicht groß schlechter.
Nun ist der heutige Wein leider kein „echter Barolo“, aber es soll ja auch noch Nebbiolo außerhalb von Barolo und Barbaresco geben. Wer sich ein bisschen im Piemont auskennt, dem sind sicher schonmal die Weine des „Alto Piemonte“ über den Weg gelaufen. Wer aber noch nie von Bramaterra, Gattinara, Lessona & co gehört hat oder aber noch mehr darüber wissen möchte, dem verlinke ich hier gerne einen schönen Artikel von Sebastian Bordthäuser über die Region. Ich möchte seinen Text jetzt nicht eins-zu-eins paraphrasieren, aber auf den angesprochenen „alpinen“ Charakter der Weine will ich trotzdem kurz zu sprechen kommen.
Vor einigen Jahren sind viele Chardonnay-Fans ins Jura und in die Savoyen geflohen, weil die großen Burgunder einfach zu teuer wurden. Gerade die Savoyen werden in dem Kontext immer für ihren „alpinen“ Charakter herausgestellt. Es wird betont, dass die Weine feiner und filigraner seien. Höher gelegen behalten sich die Weine einen frischeren Charakter und meist auch eine knackigere Säure. Vieles davon gilt auch für die Nebbioli des Alto Piemonte. Während heutzutage 15% Alkohol und teilweise noch mehr keine Ausnahmen mehr im Barolo sind, hilft das kühlere Klima in diesen Hochlagen dabei, den Alkohol bei ca. 13% – 14% etwas niedriger zu halten.
Der Wein
Heiner Lobenberg nennt diesen Stoff gerne, auch ganz ohne Herbstdepression, „Barolo für Hochlagen-Freaks“. Als Giacomo Conterno 2018 das Weingut Cantina Nervi kaufte, war die Aufmerksamkeit der Weinwelt nun endgültig im Alto Piemonte angekommen. Heute im Blog gibt es den Gattinara 2016. Obwohl das Etikett schon Conternos Namen ziert, hatte er bei diesem Wein noch nicht die volle Verantwortung. Die Nebbiolo-Reben stehen auf vulkanischen Böden und werden penibelst selektiert. Conterno soll wohl was das angeht ein absoluter Pedant sein. Die Cantina Nervi ist mir während meiner Reise nach Asti im letzten Jahr begegnet als wir am letzten Abend einen völlig grandiosen sparkling Nebbiolo getrunken haben.
Im Glas
Was Rotwein angeht probiere ich mich viel mit Weinen aus aller Welt aus, aber rotes Piemont fühlt sich immer so ein bisschen wie „nach Hause kommen“ an. In der Nase erkennt man sehr eindeutig, dass das aus dieser Ecke kommt. Trotzdem ist das tatsächlich ein bisschen feiner, filigraner, eleganter als viele Weine aus Langhe. Elegant bitte nicht mit dünn verwechseln. Das ist dieser Wein kein bisschen. Er ist dicht und komplex aber halt gleichzeitig unglaublich tänzerisch. Aromatisch wechselt das die ganze Zeit zwischen Kirschen, Erdbeeren und dieser Champignon-Waldboden-Nummer. Zwischendrin mal ein bisschen Veilchen oder ganz dezent Amarettini eingestreut und du hast ein Aroma in das man sich einfach reinlegen will.
Am Gaumen geht das dann auch noch so weiter. Das Tannin ist da, aber fein und sendet zusammen mit der strahlenden, aber nicht kitschig-süßen Frucht ans Großhirn: „Pulle an den Hals und genießen!“. Der Abgang spielt auch noch mit und erinnert einen auch noch zwei Minuten später daran, dass man doch bitte nachschenken sollte. Großer Wein! Und davon gibt’s auch noch Einzellagen … (€€€)
In der Piemont-Probe zu Anfang des Jahres habe ich Giacomo Conternos „Vigna Francia“ Barbera mitgebracht, weil ich auf meiner Reise ins Piemont im letzten Jahr zahlreichen Menschen begegnet bin, die vollkommen überzeugt waren, dass er der beste Winzer des Piemonts sei. Das wollte ich überprüfen und da man, genau wie bei Rinaldi, seine Barolo nicht bezahlen kann, habe ich den Barbera genommen. In der Probe ist er dann eigentlich untergegangen. Er war weit davon entfernt ein schlechter Wein zu sein, aber der BSA-touch nahm ihm viel von seiner Strahlkraft. Man konnte aber trotzdem erkennen, wie fein und gleichzeitig majestätisch das sein kann. Der Wein heute ist für mich ein weiterer Fingerzeig dahin, dass der Mann irgendwas richtig macht. Ich werde in absehbarer Zeit zwar leider nicht in der Lage sein mich mal an die wirkliche Spitze des Piemonts vortrinken zu können, aber zum Glück machen die meisten von diesen Spitzenwinzern auch „kleinere“ Weine. Oder im Alto Piemonte finde ich doch noch mehr von dieser wahnsinnig klaren und noblen Eleganz. Ich bin sehr gespannt.