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€€ Weintagebuch

Ich hatte leider Kontext

Naturwein polarisiert. In jeglicher Hinsicht. Wie sehr, habe ich kurz vor Weihnachten letzten Jahres tatsächlich mal am eigenen Leib erfahren.

Zwischen Eukalyptus und Durchfallinfekt

Die wenigsten meiner Freunde haben ein großes Interesse an Wein, geschweige denn am wilden Zeug. Trotzdem kam ein Freund Mitte Dezember auf mich zu und fragte mich konkret danach, was denn genau Orange Wine sei. Ich war einerseits recht überrascht über die Frage, konnte dann aber schließlich doch auf die mir simpelste Art und Weise den Herstellungsprozess und die geschmacklichen Eigenheiten erklären. Ich versprach in einer Woche mal einen mitzubringen. Nun trinke ich Orange Wines eigentlich sehr gerne, habe nur kaum welche selbst im Keller. Also musste ich den einen nehmen, den ich noch da hatte. Vielleicht nicht die beste Idee …

Der Wein war Glück 2019 vom Weingut Werlitsch aus der Steiermark. Schon die Tonflasche deutet an, dass das jetzt eher unkonventionell werden könnte. Spoiler alert: wurde es auch. Ich habe ihn ein paar Stunden vorher geöffnet und schon mal auf eigene Faust probiert. Das hier steht in meiner Excel-Liste:

Riecht wirklich nach sehr viel kraft bleibt dabei aber trotzdem sehr fein; richtig reifer Apfel; volle Kanne die mineralische nasser Stein Nummer; Kühl, minzig, kräutrig; Eukalyptus; Riecht nach Weingutskeller; Litschi; Am gaumen extrem fruchtfern; kräftige Phenolik

Schon zu diesem Zeitpunkt gefällt mir das irgendwie echt gut, aber wirklich hauptsächlich aus einem intellektuellen Zugang. Der Wein ist eine Horizonterweiterung, kein Trinkvergnügen.

Die andere Perspektive auf den Inhalt der Flasche erhalte ich ein paar Stunden später. Zahlreiche Gesichter werden verzogen, leicht angeekelte Geräusche werden vernehmbar und die geruchlichen Assoziationen geben mir dann den Rest. Ich war zwar auf einiges eingestellt, aber als dann von einem Freund das Stichwort „Kneipentoilette“ fällt, kann ich das Lachen nicht mehr unterdrücken. Ein anderer, der abgeschlossener Medizinstudent ist, kommt nach ein paar mal riechen auf folgende Assoziation: „Das erinnert irgendwie an so ’nen Durchfallerreger“. Ich hab das alles zum Glück nicht in der Nase, aber ich bin ja in der Art geschult worden, als dass „nein“ kein Wort für eine Weinverkostung ist. Wenn sie das so riechen, dann ist das für sie so.

Irgendwie finde ich das aber auch symptomatisch für meine Toleranz gegenüber unkonventionellen Gerüchen in Wein, die ich offenbar über die letzten Jahre aufgebaut habe. Im letzten Jahr habe ich lange darüber gegrübelt, ob der Gut Oggau jetzt mäuselt oder nicht. Schließlich habe ich mich innerlich darauf eingestellt, dass er wahrscheinlich mäuselt, aber dass ich das gerade trotzdem okay finde. Geht das nur mir so? Denn ich trinke grundsätzlich gerne mal „Naturwein“ oder Weine, die irgendwie dann doch sehr aus dem klassischen Raster fallen, aber ich bin überhaupt nicht in dieser Schiene gefangen. Und trotzdem kann ich diesen krass unkonventionellen Südsteirer positiv hervorheben für das, was er ist. Aber eine Kaufempfehlung spreche ich wirklich nur für diejenigen unter euch aus, die ohnehin einen Hang zum „wilden Zeug“ haben. Ansonsten vielleicht lieber Abstand halten. Man muss da ehrlicherweise sagen: Ich mag’s, aber ich hatte auch leider Kontext.

Der Wein

Ich habe beschlossen jährlich im Frühjahr irgendeinen neuen low-intervention Blaufränkisch zu probieren. Quasi der Versuch, eine kleine Tradition zu beginnen. Deswegen gibt es heute den Bonsai 2022 von Claus Preisinger. Der Wein ist Preisingers Interpretation von Blaufränkisch als Burgunder … aber trotzdem etwas „natty“. Amphorenvergoren, ungeschönt, unfiltriert und anschließend lediglich für sechs Monate im neutralen großen Holz ausgebaut. Was Gut Oggau schon schön gemacht hat, bringt Preisinger jetzt zu Ende.

Im Glas

Farblich unterscheidet der Bonsai sich kaum von Weinen wie dem „Fleur de Pinot“ Marsannay Rosé von Sylvain Pataille oder ähnlichem. Aber das soll mir egal sein. Am ersten Tag ist das in der Nase bestenfalls sperrig, aber eigentlich schon ein bisschen muffig. Trinken mag ich das trotzdem schon sehr gern, denn das ist wirklich unglaublich fein und filigran. Aber schon mit einem Tag im Kühlschrank macht er auf und gibt diese wunderschöne klare Sauerkirsche preis. Mit klassischem Blaufränkisch hat das nicht viel zu tun. Dafür sind die 11.5% Alkohol gepaart mit sehr hellen roten Beeren und ein bisschen Waldboden einfach zu untypisch.

Das Zeug trinkt sich wirklich unanständig schnell und ist spätestens mit zwei Tagen Luft nicht mehr nur was für Weintrinker:innen mit natural-Toleranz. Ich habe das spätestens dann eher inhaliert als langsam verkostet. Deswegen gibt es von diesem Wein auch keine große Aromenbeschreibung. Trotzdem ist das absolut grandioser Stoff und darf gerne leicht gekühlt genossen werden, wenn jetzt die Temperaturen wieder ein bisschen hochgehen. (€€)

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Eine Antwort auf „Ich hatte leider Kontext“

…ja, Wahrnehmungen zu Weinen und Weinstilen sind -zum Glück- sehr unterschiedlich. Speziell bei Werlitsch werden bei mir regelmäßig höchste Glücksgefühle ausgelöst, wenn ich einen im Glas habe, die Weine dieses Guts triggern mich wie sonst kaum was. Nicht mal Preisinger, auch wenn ich da auch schon das ein oder andere mal „boah“ geschrieen habe…

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