„Ich will mitreden können!“ wäre auch ein möglicher Titel für den heutigen Beitrag gewesen, denn das war meine eigentliche Hauptmotivation dafür diesen Wein zu probieren.
Trends und Dynamiken in der Weinwelt
Nach über zwei Jahren intensivem Lernen, Beobachten und Zuhören bin ich zwar immer noch nicht wirklich qualifiziert, mich über ein solches Thema zu äußern, das man eigentlich über Jahre und Jahrzehnte analysieren müsste. Trotzdem bilde ich mir ein, dass ich auch in dieser kurzen Zeit ein paar Dinge rund um Trends, Hypes, aber auch um die Vergänglichkeit davon gelernt habe.
Grundsätzlich gibt es gewisse Weine, Anbaugebiete und Winzer_innen, die man „zeitlos“ nennen könnte. Ich denke da an Bordeaux/Bordeaux-Blends aus aller Welt, Champagner, in gewisser Weise sogar Burgund, aber auch restsüßen Riesling von Weingütern wie J.J. Prüm oder Egon Müller. Diese Weine sind berühmt und begehrt wegen ihrer Beständigkeit und ihrer „Unanfälligkeit“ für Trends. Sie haben über einen langen Zeitraum hinweg ihr Profil und ihre Typizität gefunden und lassen sich nicht davon beirren, wenn gerade mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wurde.
Abseits davon haben sich, auch im Zuge der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung, in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder neue Weinstilistiken in den Vordergrund geschoben, von denen sich manche etabliert haben und andere wieder recht schnell von der Bildfläche verschwunden sind. Trends, die meiner Meinung nach gekommen sind um zu bleiben, wären z. B. Weißweine mit längerem Maischekontakt, halbtrockene Rotweine (hierzu kommt demnächst ein eigener Beitrag), Grauburgunder, etc. Trends, die vermutlich nicht für immer bestehen bleiben, wären für mich z. B. extrem reduktive Weine (à la Coche-Dury) oder auch extrem früh gelesen Pinots.
Entschleunigung
Die Weinwelt mag nicht genauso schnelllebig sein, wie Internet-Trends auf „TikTok“, wo innerhalb weniger Wochen und teilweise sogar Tage ein Trend schon wieder vorbei sein kann. Trotzdem hat gerade das Internet und der internationale Austausch dazu geführt, dass Weinstile, die sonst nur in einem kleinen Teil der Welt gemacht wurden, plötzlich sehr schnell wahnsinnig populär werden und als Exportschlager um die Weinwelt gehen. Gerade beim Beispiel von Reduktion im Wein nach dem Vorbild Coche-Dury habe ich neulich einen ganz interessanten Satz aus dem „TrinkFest“-Podcast der Jungs von der Vinothek „Freiheit“ gehört. Dort ging es um die Weine von Jean Javiller, einem der Pioniere für biologischen und biodynamischen Wein im Burgund. Marius Frick, der den Podcast moderiert, scherzte in einem Nebensatz mal beiläufig darüber, dass der alte Jean wahrscheinlich einfach kein Smartphone besäße. Sonst hätte er längst mitbekommen, dass dieser „Coche-Dury-Stil“ momentan unglaublich populär ist und wäre vielleicht auch selbst da mit aufgesprungen. Aber nein, der Mann zieht unbeirrt von Trends und Mode einfach seinen Stiefel durch und da der Wein wohl sehr gut zu sein scheint, kommt diese „Trendresistenz“ einfach extrem gut an.
„Den Trend zu hassen ist auch nur ein Trend“ – Alligatoah
Okay, man kann das jetzt extremst auf die Metaebene heben, aber ich gebe mir Mühe, das so einfach wie möglich zu erklären. Der Satz aus der Überschrift stammt aus dem Lied „Wie Zuhause“ von Alligatoah und beschreibt ziemlich präzise eine Dynamik, die es zwar schon ewig gibt, sich aber beim Thema Wein erst in jüngster Zeit mit letzter Konsequenz durchgesetzt hat. Mit meinen eigenen Worten klingt das so: „Es liegt im Trend, unanfällig gegen Trends zu sein“. Eigentlich ist das das klassische Problem des „anti-mainstreams“, welches man gefühlt bei jedem erdenklichen Thema finden kann. Um die, die am lautesten gegen den Mainstream, das Establishment, etc. anschreien, formiert sich ggf. über Zeit ein neuer Mainstream, gegen den man dann wieder rebellieren kann.
Was Wein angeht, kann es momentan eigentlich kaum „ursprünglich“ genug sein. Alles was mit Ruhe und Unaufgeregtheit wirbt, bzw. als solches entdeckt wird, kann sich schon morgen auf dem Radar der geneigten Sommeliers befinden.
Von oben herab?
Wer sich in die Position des Betrachters bringt und sich quasi die Situation aus sicherer Entfernung ansieht, wird erstmal nicht sofort nach seiner eigenen Haltung dem gegenüber gefragt. Allerdings ist ja eine Betrachtung niemals wirklich objektiv, weil man gar nicht anders kann als mit gewissen Erwartungen dranzugehen. Also … wie stehe ich dazu? Ich bin selbst in gewisser Weise Opfer des Gegenmainstreams der „ursprünglichen“ Weine. Die Vorstellung, dass dem Wein und dem Weinberg genügend Raum und Zeit gegeben wird, respektvoll mit der Natur umgegangen wird und man so etwas wie die Handschrift einer Person oder einer Familie im Wein erkennen kann, finde ich grandios. Das ist auch einer der Gründe, warum ich echt viel biodynamischen Wein trinke und kaufe, obwohl ich die Person Rudolf Steiner massivst problematisch sehe. Eigentlich braucht das Thema mehr Raum und sicher mindestens einen eigenen Beitrag.
Allerdings steht noch über meinem Bedürfnis nach Ursprünglichkeit und Individualität der Wunsch, grandiosen Wein zu trinken. Deswegen versuche ich das so undogmatisch zu sehen wie möglich. Bei gleicher Qualität würde ich aber immer den „vermeintlich individuelleren“ Wein bevorzugen, wenn ich die Auswahl zwischen zwei Weinen aus einem Großbetrieb oder eines kleinen Familienweinguts habe.
Der Wein
Kleines Familienweingut ist das Stichwort, denn der heutige Wein kommt in gewisser Weise aus genau so einem. Es gibt Dolcetto d’Alba 2020 von Luca Roagna. Er und sein Vater Alfredo bewirtschaften 12 Hektar Weinberge im Piemont. Sie arbeiten biologisch organisch, sind aber nicht zertifiziert. Roagna ist hauptsächlich berühmt für seine Einzellagen Barbarescos, allerdings haben sie ebenfalls Weinberge in Castiglione Falleto, was zur Barolo Appellation gehört, und seit ein paar Jahren nun einen Weinberg in den Colli Tortonesi aus dem Luca seitdem einen Timorasso produziert, der inzwischen die höchsten Preise überhaupt für diese Rebsorte erzielt.
Das Thema Preise muss man bei diesem Weingut leider besonders betonen, denn abgesehen von einem Barbera, einem Langhe Nebbiolo, einer weißen Cuvée aus Chardonnay und weißgekeltertem Nebbiolo und diesem Dolcetto, findet man keinen der Barolo und Barbaresco für einen zweistelligen Betrag. Wenn man nur 12 Hektar besitzt, aber jeder deine Weine haben will, dann wird es meist teuer.
Ich kann leider keine genaue Chronologie davon geben, wie und wodurch das Weingut so gehyped wurde. Meine Vermutung ist jedoch, dass Luca die Zeichen der Zeit erkannt hat und viele Jahre nach dem großen Streit um Modernisten gegen Traditionalisten im Piemont, seinen ursprünglichen und traditionellen Weinstil an die richtigen Leute gebracht hat. Bei diesem Traditionalisten vs. Modernisten geht es hauptsächlich um die önologischen Philosophien von langem Schalenkontakt und Ausbau in großem gebrauchtem Holz vs. kurzem Schalenkontakt und Ausbau in neuen Barriques. Wer das nochmal genauer erläutert haben möchte, kann sich dieses Video ansehen. Wer außerdem eine kleine, aber sehr gut gemachte Mini-Dokumentation über das Weingut Roagna sehen möchte, findet sie hier.
Da ich als Student kein unbegrenztes Budget habe, aber trotzdem mitreden können möchte, bin ich immer froh, wenn extrem hochpreisige Weingüter trotzdem noch so etwas wie Basisweine machen, die man bezahlen kann und an denen man die Handschrift erkennen kann. Sicher spielt dieser Dolcetto d’Alba nicht ansatzweise in der gleichen Liga wie Roagnas Top-Gewächs „Crichët Pajé“, das preislich schon vierstellig ist, er ist aber dafür mit dem gleichen Know-how gemacht worden.
Dolcetto ist nicht dafür berühmt, große Weine hervorzubringen. Sein Anteil an der Rebfläche des Piemonts schrumpft auch immer weiter. Ich habe mal gehört, Dolcetto sei der Dornfelder des Piemonts. Das lässt eigentlich auf nicht viel hoffen. Dass es aber doch auch anders geht, zeigt dieser Wein eindeutig.
Im Glas
In Heiner Lobenbergs Verkostungsnotiz zu diesem Wein wird die Nase mit den Zutaten und Aromen einer Schwarzwälder Kirschtorte verglichen. Und obwohl ich in meinem Leben noch keine Schwarzwälder Kirschtorte gegessen habe, weiß ich was gemeint ist. Natürlich ist die Nase erstmal rotfruchtig, mit Sauerkirsche und etwas Pflaumigem, aber dahinter kommt so ein Eindruck, der mich an Biskuit erinnert. Insgesamt ist die Frucht eher zurückhaltend und nicht wirklich explosiv. Gleichzeitig ist das aber auch nicht sonderlich präzise und wie z. B. bei Sangiovese klar als Sauerkirsche erkennbar. Am ersten Tag haben wir den Wein neben einem jungen Faiveley Bourgogne Rouge getrunken, welcher im direkten Vergleich deutlich mehr in der Frucht gestrahlt hat. Das ist allerdings in diesem Fall kein bisschen negativ gemeint, denn diese eher zurückhaltende Frucht beim Dolcetto passt eins zu eins zum Gesamtbild des Weines. Dieser ruht nämlich einfach in sich. Nichts daran ist laut. Es ist ein sehr feiner aber schmeckbarer Gerbstoff im Hintergrund, die Säure trägt, wird aber nie spitz, ganz im Gegensatz zum Faiveley bei dem man echt nicht Angst vor Säure haben sollte, und die Frucht springt einen nicht an. Wer nach einer gewissen Dramatik im Wein sucht, der könnte hier etwas enttäuscht werden, wen aber ein solcher unaufgeregter Stil anspricht, der bekommt hier den besten Saufrotwein überhaupt und das ist null abfällig gemeint. Der Wein fächert nunmal einfach nicht mit zahllosen Aromen auf, sondern beschränkt sich auf ein fast bescheidenes Level, aber meistert dieses Level so grandios, dass man gar nicht mehr haben will, geschweige denn braucht. (€€)
Abschließend möchte ich nochmal kurz auf das Thema der Ursprünglichkeit zurückkommen. Gestern habe ich nämlich ein sehr schönes Zitat vom Journalisten Alexander Kissler entdeckt, das ich hier einfach mal als kleinen Denkanstoß nennen will: Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß.