Macabeo ist nichts für Rieslingfans. Wer sonst mit expressiver Frucht, steinigem Lagencharakter, teils krasser Säure und im besten Fall endloser Spannung verwöhnt wird, kann mit dieser weit verbreiteten spanischen Weißweinrebsorte nicht viel anfangen. Anspruchslos und krankheitsresistent wie sie ist, wächst sie an sowohl heißen als auch kühlen Standorten auf 35.000 Hektar Rebfläche in Spanien. Macabeo (in der Rioja auch Viura genannt bzw. in Katalonien als Macabeu geschrieben) wird hauptsächlich für Cava (Schaumwein) im Penedès verwendet, wo der Charakter des Weins am Ende über das Hefelager kommt und nicht über die Rebsortenaromatik. Das ist letztendlich auch das Problem der Sorte: Wenn du als Winzer keinen Plan für sie hast, dann wirst du mit absoluter Langeweile bestraft. Ich habe selber ein paar einfache stahltankausgebaute Weine aus Macabeo probiert und fand das immer todlangweilig. Ein Beispiel für spannenden tiefgründigen Wein aus dieser Rebsorte liefert Tondonia. Dort werden die Weine einfach jahrelang ins Holz gesperrt bis sie diesen stark oxidativen Charakter bekommen und von den frischen, grasigen Tönen eher in Richtung Nuss und Salzkaramell gehen.
Für heute habe ich mir zwei Weine rausgesucht, die einen anderen Weg gehen und eigentlich zwei gegenüberliegende Pole darstellen. Von extremer Frische, Finesse, Leichtigkeit bis hin zu Kraft, Reife, Opulenz und Druck.
Gemischter Satz im Bergklima
Vor ein paar Wochen noch über die Rioja geredet, schon sind wir wieder hier. Allerdings mitten im baskischen Teil: der Rioja Alavesa. Benannt nach den Bergen dahinter, produziert Sandra Bravo unter dem Namen Sierra de Toloño Weine, die nach großer Eleganz streben. Sie stellt sich gegen die Klassifikation der Rioja und verkauft ihre Weine nach Alter und Qualität ihrer Weinberge, nicht nach Lagerzeit im Holz. Sie verzichtet zwar nicht aufs Holz, aber es spielt bei ihr keine geschmackliche Rolle. Ihr Nahikun blanco 2023 ist ein Wein aus mehr als 80 Jahre alten Buschreben, gewachsen auf kargen, kalkhaltigen Böden in 500m Höhe. Wie in der Rioja üblich ist die Parzelle mit einem gemischten Satz bepflanzt. Früher war das eine gängige Art mit schlechten Jahrgängen umzugehen. Wenn die eine Rebsorte nicht reif wurde, dann stand man im besten Fall nicht mit leeren Händen da und konnte wenigstens die Reben der frühreifenderen Sorten ernten. Heute muss man sich kaum noch Gedanken um solche Dinge machen. Für die Winzer sind viele dieser sehr alten Rebanlagen ein Segen, da man aus ihnen wunderbar kleine, aber sehr geschmacksintensive Trauben für hochqualitative Weine in kleiner Auflage ernten kann. Hier besteht der gemischte Satz aus Viura, Malvasía und Calagraño. 2023 war ein schwieriges Jahr für die Winzer in der Rioja. Winzerinnen und Winzer sind zwar immer besser darauf eingestellt mit der Mischung aus sehr heißem Klima und Ernteausfällen durch Hagelstürme umzugehen, aber der Erderwärmung stellt sie dennoch immer mehr vor neue Herausforderungen. Von dem Wein existieren aus diesem Jahrgang lediglich ca. 2100 Flaschen. Entdeckt habe ich ihn bei einem befreundeten Händler in Würselen.
Weißwein aus Cariñena
Die meisten Menschen denken über Zugbegleiter nur nach, wenn diese einen beim Schwarzfahren erwischt haben. Seit ein paar Monaten denke ich allerdings an Macabeo aus dem Cariñena.
Eines morgens um 6:30 Uhr in einem RB in Mittelhessen scrollte ich mich aus Langeweile durch meine Wunschliste bei Heiner Lobenbergs online shop und schmachtete wahrscheinlich wieder irgendeinen Bürklin-Wolf oder Wittmann an. Die Stimme des Schaffners, welcher die wenigen Leute im Zug bereits kontrolliert hatte und mich nun nach meinem Ticket und meinem Ausweis fragte, holte mich zurück in die Gegenwart. Ich reichte ihm mit dem freundlichsten Blick, den ich zu dieser Uhrzeit aufbringen konnte, beides und wartete auf sein Okay. Es kam drei Sekunden später, jedoch gefolgt von einem zustimmenden Kommentar über die Auswahl meiner online-Weinhändler. Damit hatte ich nicht gerechnet und so fragte ich ihn, ob er selbst häufig dort bestellte, was er bestätigte. Er erzählte, dass er sich zur Zeit mit spanischem Weißwein beschäftigte und wollte mir noch eine Empfelung mitgeben. Während ich nun typischerweise mit Albariño als DEM heißen Scheiss an Weißwein auf der iberischen Halbinsel rechnete, nannte er mir stattdessen einen Namen: Jorge Navascues. Er sei der Kellermeister von Contino in der Rioja und habe im Cariñena sein eigenes Weingut, wo er sich auf Garnacha im roten und Macabeo im weißen Bereich fokussierte. Zehn Minuten später war meine Bestellung rausgegangen.
Wechseln wir mal wieder in die Gegenwartsform. Mit Weinempfehlungen in der Regionalbahn rechnet man generell nicht, ich auch nicht, aber solche Begegnungen liebe ich sehr. Ich liebe meine Weinbubble sehr, aber ich bin auch immer wieder offen dafür neues zu probieren, was weder Klassik, noch Avantgarde, noch potenzielle Avantgarde ist. Weder von Navascues noch von der Region Cariñena hatte ich bis dato gehört. Der Name war mir nur als spanische Bezeichnung für die Rebsorte Carignan bekannt. Nach etwas Recherche erfuhr ich, dass die Region in der Nähe der Stadt Saragossa etwa auf der Hälfte zwischen der Rioja und Barcelona liegt. Sie gilt als eins der ältesten Gebiete für Weinanbau in Spanien mit einer Historie bis zurück in die Römerzeit. Auf über 600m Höhe gelegen wachsen die Reben dort auf sehr kargen kalkhaltigen Böden in großer Hitze und bekommen kaum Niederschlag – komisch, dass hier kein Riesling steht …. Jorge Navascues hat als önologischer Berater scheinbar einen Ruf wie Donnerhall in Spanien, entschied sich aber für sein Privatprojekt vom Weinmachen in den Höhenlagen von Cariñena.
Sein Cutio Macabeo 2020 kommt, genau wie der Sierra de Toloño, von sehr alten Buschreben. Die Cutio-Weine sind sein Einstieg und schaffen es eigentlich gerade erst so über die 10€-Marke. Selbst die großen Weine erreichen lediglich ca. 30€: eine Region mit wenig Ruf, aber einigem Potenzial. Wie viel ist sicherlich bestimmt von den zukünftigen Entwicklungen im Klimawandel, denn auch der einfache Cutio hat schon 14% Alkohol.
Im Glas
Der Nahikun ist ein leiser, fast schüchterner Wein. Gerade für Weißwein aus der Rioja, der häufig schwer vom Holzausbau gezeichnet ist, finde ich ihn sehr fein und elegant. Etwas unreife Birne, Honigmelone, ein bisschen Kreide und Anis finde ich in der Nase. Dann kommt ganz dezent etwas Mandarine, Fenchel und eine sehr helle Zitrusfrucht wie bei gutem Blanc de Blancs. Ein bisschen grasig wirkt er auch, aber anders als es ein Sauvignon Blanc wäre. Erstaunt bin ich vom Alkoholgehalt. 11.5% hier in der Rioja? Das traut sich sonst keiner. Warum eigentlich? Das funktioniert hier so unglaublich schön und ist eine tolle Abwechslung zur x-ten Neuholzschleuder. Am Gaumen zeigt er sich dann ultraschlank mit einer Säure die trägt, nicht wirklich unreif ist, aber schon etwas leicht grünliches hat. Mir fällt das zwar auf, aber es stört kein bisschen, vor allem weil sie noch so eine vibrierende Energie mit in den Wein bringt. Wein für Finesse-Trinker. Mehr davon bitte! (€€)
Die beiden Weine nebeneinander ist wie einen Nickelback-Song anmachen nachdem man vorher die ganze Zeit Disturbed oder zebrahead gehört hat. Das ist zwar beides auf dem Papier Rock, aber eigentlich hat das kaum noch etwas miteinander zu tun. Jorge Navascues hat einfach ein ganz anderes Terroir zum arbeiten und dementsprechend anders ist auch sein 20er Cutio. Der Wein riecht wie die letzten Früchte, die am Ende des Herbstes noch an den Bäumen hängen. Reifer, mehliger Apfel, Apfelschale, reife Birne, Honigmelone, butterscotch, geröstete Nüsse und dann so eine Rosinenart, die mich normalerweise sofort in Richtung Botritys abdriften ließe. Hier ist das allerdings, soweit meine Recherche, nicht der Fall. Wer jetzt auf Holzfassausbau kommt bekommt zwar mein volles Verständnis, aber der Wein hat etwa so viel Holz gesehen wie ein Pinguin in der Antarktis. Mit mehr Luft passieren lustigerweise ein bisschen Petrol und Gummiabrieb meine Nasennebenhöhlen, Aromen die ich hier jenseits vom Riesling selten erwarte, als stände ich auf einem Rollfeld. Das hat ein bisschen was von Viña Gravonia von López de Heredia, aber nicht so fein. Am Gaumen bleibt das sehr reif und hat echt punch. Brandig wird es zum Glück nicht, aber er gehört für mich schon zur Kategorie „fette Schnecken“. Die Säure fällt erst überhaupt nicht auf und packt dann auf den zweiten Blick zu. Für das was es kostet, ist es absolut überragend, aber eine ganze Flasche schaffe ich davon nicht. Nach zwei Gläsern bin ich satt und bediene mich dann doch wieder beim Rioja. (€)