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€€ Meinung Weintagebuch

Von Arschbomben und Gatekeepern

Wie spricht man über Wein? Gibt es so etwas wie Einigkeit darüber? Muss man all die Begriffe kennen, wenn man mitreden will? Aufgepasst: Im heutigen Beitrag wird aktiv „gegatekeept“.

In den USA droht das nächste Mittelalter anzubrechen. Hoch technisiert, schwer bewaffnet aber ganz offensichtlich völlig hohl in der Birne. Während die Tech-Milliardäre in Reih und Glied stehen und sich darum streiten, wen Daddy Trump am liebsten hat, sitze ich in der Bib und brauche eine Auszeit von meinen Ideologischen Staatsapparaten, über die ich gerade eine Hausarbeit schreibe. Schreiben als Ablenkung vom Schreiben. Klingt komisch, funktioniert aber erstaunlich gut. Eigentlich müsste ich an meinem Spanienbericht schreiben, aber das ist gerade so weit weg im Kopf und bevor ich mich jetzt auch noch mit einer Schreibblockade für den Blog herumschlage, nutze ich lieber den guten alten Trick und schreibe über das, was mir einfällt. Gut, dann heute: Weinsprache.

To gatekeep or not to gatekeep …

Wo und wie wir aufwachsen prägt massiv unsere Ideen und Konzepte von den Dingen, mit denen wir in Berührung kommen. Was auf der ganz grundsätzlichen Ebene funktioniert, das ist beim Wein nicht großartig anders. Am Wochenende fragte mich ein Bekannter, etwa Mitte-Ende 20, ein bisschen über Wein aus. Er hat sehr wenig Erfahrung, findet das Thema aber spannend und möchte da tiefer einsteigen. Top. Unter anderem sollte ich ihm ein bisschen in das Thema Weinsprache einführen. Ich sollte mal ein paar Begriffe nennen, die ich benutze, wenn ich Wein beschreibe. Ich fand die Aufgabe in dem Moment erstaunlich schwer. Wo fängt man denn da an? Man listet dann ja nicht irgendwelche Aromen, auf die man mal irgendwie in einem 2020er-Bacchus Kabinett halbtrocken gefunden hat, den man vor Jahren an der alten Mainbrücke in Würzburg gekippt hat. „Also ich rieche hier Apfel, Zitrone und Pfirsich“ ist ein Satz, der einen Neuanfänger erstmal überhaupt nicht weiterbringt. Man muss da schon bei Adam und Eva anfangen.

Wein soll Spaß machen. Wer sich bei dem ganzen Thema selber viel zu ernst oder zu wichtig nimmt, der hat, wie ich in der Schule bei so manchen Gedichtanalysen in Deutsch, das „Thema verfehlt“. Weingeschmack ist subjektiv. Das darf man nie vergessen. Und trotzdem gibt es ja objektive Kriterien, die man anwenden kann, um festzustellen, ob ein Wein „gut“ ist. Selbst die größten Nonkonformisten der Weinwelt, die Leute, die nahezu jede Menge an flüchtiger Säure, Mäuseln oder schwefligen Gestank nach faulen Eiern akzeptieren, auch die haben einen Kompass, anhand dem sie begründen können, warum sie den 1,99€ Morio-Muskat aus dem REWE scheiße finden. Natürlich ist ein Großteil davon Ideologie (jedenfalls wenn offen verkostet wird), aber auch blind ist das ein Wein, den man nicht mit dem maischevergorenen low-intervention Savagnin aus dem Jura verwechselt. Man braucht also Begriffe, mit denen man arbeitet und auf die man sich mit anderen einigen kann.

Die Begriffe nicht zu kennen bedeutet, dass man auf einem gewissen Level nicht mitreden kann. Hier wird also gewollt oder ungewollt Gatekeeping betrieben. Wem der Begriff nichts sagt – hier eine Erklärung. Gleichzeitig regen wir uns im jüngeren Teil der Weinbubble gern darüber auf, dass in der Weinwelt viel zu viel „gegatekeept“ wird. Wir kritisieren diejenigen, die für die Exklusivität der Weinwelt einstehen, diejenigen, die anderen nicht gönnen oder diejenigen, die herablassend weniger Erfahrene belehren. Und trotzdem braucht es eine gemeinsame Basis, auf der man sich verständigen kann und in die muss man sich anfangs etwas einarbeiten.

Was können wir also tun? Solange wir wollen, dass mehr Menschen Spaß am Wein haben, können wir ihnen dabei helfen, die erste Hürde zu nehmen. Anstatt ihnen demonstrativ den Berg an Erfahrung vorzu halten, den sie noch vor sich haben, können wir ihnen für Fragen zur Verfügung stehen. Denn diesen Berg Stück für Stück zu entdecken und zu erklimmen ist so mit das Schönste an der eigenen Weinreise. In diesem Sinne, das Wort zum Sonntag. Ich hab‘ im Januar ein paar spannende Sachen getrunken von denen ich noch kurz erzählen wollte.

Vom PetNatTee bis zur natural Arschbombe

Der Januar war nicht unglaublich weinreich, aber wenn ich was getrunken habe, dann eigentlich nur Weine aus der Kategorie „Heißer Scheiss“ bzw. „Wie, das hast du noch nicht getrunken?“. Vielleicht musste ich nach dem vorweihnachtlichen Festgelage doch mal ein wenig zur trüffelsuchenden Fraktion der deutschen Weinszene aufschließen. Call it Gruppenzwang oder Neugierde … I don’t care. Hier bin ich nun und das neue Zeug ist einfach echt spannend.

Lukas Krauß – Napa

Wie die Seemöwen schnappen die Weinjournalisten, Weinblogger und die es noch werden wollen im Januar nach allem was nicht alkoholisch und hip ist, in der Hoffnung den nächsten großen Fang gemacht zu haben. Meine alkoholfreie Eskapade im letzten Jahr war Leitz‘ seelenloser Rheingau-Riesling. Konnte man trinken, aber diesen Sachen fehlt irgendwie immer der Kern. Beim Leitz’schen alkoholfreien Pinot Noir vor einem Monat war das nicht anders, eigentlich nur schlimmer. In diesem Jahr lautet das Motto: alkoholfrei, aber nicht um jeden Preis. Sidney hat in einem Artikel neulich schon trefflich darüber geschrieben, wie sehr ihn das Moralische am Januar inzwischen auf den Zeiger geht. Mir geht das ähnlich, deshalb müsst ihr jetzt alle nochmal diesen schlechten Witz ertragen.
P.S. Es tut mir nicht leid.

Zurück zum Thema. Dieses Jahr gibt’s ein Getränk namens Napa von Lukas Krauß, dem Mann mit Hut, aus der Pfalz. Hat nichts mit Kalifornien zu tun, sondern steht für „non-alcoholic pet nat alternative“. Obwohl ein bisschen Traubensaft vom Grünen Veltliner drin ist, ist das eigentlich eher eine Art Tee im Stil eines PetNats. Auf Basis von Wasserkefir, Lorbeertee, Quittensaft, getrockneten Aprikosen und Trauben (und etwas Salz) ist das ein unfiltriertes, leicht prickelndes, Bio-zertifiziertes Getränk, was echt Spaß macht. Für mich ist zwar auch das kein gleichwertiger Ersatz, aber anstelle eines PetNats würde ich das definitiv trinken. (€)

Envínate „Lousas“ Viñas de Aldea 2021

Envínate ist eigentlich viel berühmter für ihre wilden Vulkanweine aus Teneriffa, aber die gefeierte Weinmachertruppe ist auch in Kastilien und eben, wie hier, in Galizien tätig. Dieser Wein stammt aus der Ribeira Sacra und ist eine der typischen Cuvées aus Mencía + diversem regionalen autochthonen Geraffel wie z.B. Sousón (Hier sehen Sie mal abgehobenes Gatekeepertum in Aktion). In Galizien findet man einfach viel häufiger Weine, die nach Weinbergen und nicht nach Rebsorten gemacht werden und da hier noch vielfach gemischte Sätze stehen, sind Rotweine meistens eben nur zu 85% Mencía. Die Reben stehen auf 400 bis 600m Höhe und auf Gneiss, Granit und Schiefer. Ein Teil des Weins wird im Beton ausgebaut und auf neues Holz wird gänzlich verzichtet.

Mencía an sich habe ich bisher als recht wandelbare Sorte erlebt. Sehr reif gelesen erinnert sie ein bisschen an eine Mischung aus Nebbiolo und (natürlich trockenen) Primitivo, denn sie kann sehr natürlich würzig sein. Dieser Envínate ist aber definitiv mehr auf der Nebbiolo-Seite. Allerdings ist er mit 12.5% Alkohol viel schlanker als die meisten Piemonteser und das steht ihm sehr gut. Während man auf Teneriffa häufig sehr reduktiv-stinkig in der Nase begrüßt wird, so ist das hier vergleichsweise clean. Der Wein hat für mich eine unglaubliche Präzision mit ganz klar voneinander trennbaren Phasen. Während das erste Auftreffen auf die Zunge noch ziemlich weich ist, so startet er im Mittelteil einen abnormalen Turbo und zeigt trotz des geringen Alkohols was er für eine Kraft hat. Viel rote Frucht, Bleistiftspäne und Veilchen. Gerbstoff ist da, aber so wunderbar eingebaut, dass man das auch gut stürzen könnte. (€€)

Moritz Kissinger Null Ohm rot 2023

Bei Moritz Kissinger bin ich genauso late to the party wie vor Weihnachten bei den Lassaks. Wer aktuell den heißen Scheiss der deutschen Weinszene trinken will, kommt an diesem jungen Mann aus Uelversheim in Rheinhessen nicht vorbei. Die Vorbilder der jungen deutschen Avantgarde findet man beim Schaumwein in der Champagne und bei Stillwein (rot und weiß, ausgenommen vom Riesling) im Burgund, im Beaujolais oder im Jura und bei Moritz ist das nicht anders. Biodynamisch zertifiziert, Kellerarbeit minimalinvasiv, lange Hefelager, Ausbau in gebrauchtem Holz und Affinität zu einem der zahlreichen „natural styles“ – Kissingers Profil liest sich eigentlich wie eine Liste dafür was es gerade braucht um als Jungwinzer in der „alternative fine wine Welt“ erfolgreich zu sein.

Seine Null Ohm-Weine sind der Einstieg in das Portfolio. Beim Weißen ist das eine Cuvée aus Weißburgunder und Chardonnay und bei diesem Roten eben 100% Spätburgunder. Wenn ich mich da aber richtig informiert habe, war das in früheren Jahrgängen aber noch anders. Zumindest auf der eigenen Webseite wird über den 2020er noch als Merlot + Dornfelder berichtet. Warum es inzwischen aber doch Pinot ist, liegt wahrscheinlich am angestrebten Stil. Diese eigentlich unsägliche Mischung aus bordelaiser Pflaume und dem kläglichen deutschen Versuch von kräftigem Rotwein durch Maischeerhitzung beim Dornfelder … sie passt einfach nicht zu Kissingers Idee von easy drinking Rotwein nach Vorbild Jura oder Beaujolais. Dieser 23er-Null Ohm rot hat 12% Alkohol, genau die richtige Menge Funk in der Nase und präsentiert sich nach wenigen Sekunden im Glas als ultimative juice-experience. Das ist abnormal saftig und erinnert tatsächlich stark an Trousseau aus dem Jura oder an etwas unkonventionellen Gamay. Null Ohm – null Gerbstoff, dafür aber ein absolut sensationeller Trinkfluss. Konkurriert für mich nicht mit anderen deutschen Spätburgundern, sondern geht einen anderen Weg. Über den erzähle ich aber in den nächsten Wochen nochmal separat. Ganz große Klasse! (€€)

Wasenhaus – Gutedel 2023

Auch wenn Hanspeter Ziereisen vor Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, den Gutedel wieder salonfähiger gemacht hat, zählt die Rebsorte nicht unbedingt zu den ausdrucksstärksten. Es ist wie beim Macabeo: Man braucht einen Plan, sonst wird’s langweilig.

Bei Wasenhaus findet offenbar eine Debatte statt, ob die Weine zur schlecht definierbaren Kategorie der Naturweine gehören oder nicht. Jens Priewe sieht vor allem die Spätburgunder des Hauses nicht als Naturweine, da sie einfach eine extrem burgundische Machart aufweisen – schließlich haben die beiden Winemaker Götze und Wolber beide im Burgund gelernt. Wenn ich jetzt aber diesen Gutedel aus 2023 im Glas habe, kann ich gar nicht anders als das in der natural Ecke zu verorten. Der Wein hat Pferdestall, etwas flüchtige Säure, leichte Schwefelreduktion, viel Hefelager, Reste von Gärkohlensäure und ist gänzlich unfiltriert. Um das mal sinngemäß mit Marti Fischers Worten zu sagen: „Wir machen jetzt die Arschbombe in den Naturweintrickkistensack“. Ich finde das zwar trotzdem echt gut, aber Frucht musst du mit dem Mikroskop suchen und der Wein ist massiv von der Machart geprägt.

Rebsortentypizität? Fehlanzeige. Nicht missverstehen, mir ist Rebsortentypizität meistens eher egal, aber sagen wir es mal so: Die Trauben für diesen Wein wollten ursprünglich mal mit Zucker und Frucht dafür sorgen, dass Vögel sie essen und die Kerne in der Welt verteilen. Von dieser Idee hat man den Trauben erstmal höflich abgeraten. Als das nicht gereicht hat, wurde der Plan auch gegen ihren Willen durchgesetzt. Das Endresultat ist ein Wein, der mit 10.5% Alkohol so breite Schultern hat wie einer mit 12.5%. In der Nase eine Mischung aus jodiger Dosensardelle (liebe das Zeug) und Sommerregenluft. Die Säure wird vom Hefelager gut gepuffert und wirkt so milder als sie wahrscheinlich ist. Ich finde ihn extrem schräg und gleichzeitig maximal Horizont-erweiternd. Freakstoff. (€€)

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