Seit ich zwölf Jahre alt bin interessiere ich mich für Fotografie. Was zunächst nur eine Begeisterung für die Technik hinter den Bildern war, entwickelte sich schnell zu einem großen Hobby und schließlich zu einem kleinen Nebenjob. Mit 18 Jahren erhielt ich meine ersten kleineren Aufträge, und es war endgültig an der Zeit, meine Einsteiger-DSLR gegen ein größeres und zuverlässigeres Profi-Modell auszutauschen. Doch die Begeisterung für die technische Leistung der Kamera ließ schnell nach, als ich feststellte, dass ich sie zwar für Aufträge nutzte, aber privat kaum mehr mitnahm. Zum einen war sie zu groß und schwer, und zum anderen wirkten die Bilder, die ich damit machte, oft zu perfekt.
(never) change a running system?
Mitnichten! Ich behielt meine Canon 5D für “semi-berufliches” und stieg in die Welt der analogen Fotografie ein. Da ich kein Analyse-Tool für meinen Blog nutze, kann ich den Altersdurchschnitt meiner Leserinnen und Leser leider nicht genau bestimmen. Deshalb hier einmal kurz eine Erklärung für diejenigen, die mit dem Begriff “analoge Fotografie” gar nichts anfangen können:
Dabei handelt es sich um Fotografie auf physischem Film statt auf einem digitalen Sensor. Bis Anfang des Jahrtausends wurden fast ausschließlich Kameras verwendet, in die man eine Filmrolle legte, welche erst belichtet, dann entwickelt und anschließend vergrößert und abgezogen wurde. Eure Eltern haben das wahrscheinlich alle beim örtlichen dm oder Rossmann (oder Schlecker :D) gemacht. Aus heutiger Sicht ist diese Technik veraltet und eigentlich kaum sinnvoll. Seit einigen Jahren aber wird analoge Fotografie wieder neu entdeckt und immer mehr Menschen stürmen in ihre Drogerien und kaufen die Regale mit 35mm Filmen wie Kodak Gold leer. Warum? Eine exzellente Frage!
Mehr als nur der “film-look”
Die häufigst genannte Antwort dafür ist der so genannte “film look”. Gemeint ist damit folgendes: Jeder Film hat ein bestimmtes Farb- und Kontrastprofil. Darüber hinaus unterscheiden sich analoge Filme in ihrer Körnigkeit was man im englischen “grain” nennt. Während man bei digitalen Bildern gerne mal einen Filter über das Bild legt um es farblich interessanter zu machen (oder man lässt das die AI machen), so ist ein solcher Filter beim Film quasi prägendes Feature. Das wirkt oft weniger perfekt als ein digitales Hochglanz-HDR-Bild, weckt aber bei vielen Menschen nostalgische Gefühle.
Auch wenn ich selbst ein großer Fan von manchen farblichen looks analoger Filme bin, gehöre ich doch eher zur zweiten Fraktion von Menschen die analog fotografieren. Diese mögen nämlich den Aspekt davon, dass man beim analogen Fotografieren langsamer wird als bei der Digitalfotografie. Eine 128GB-Speicherkarte bietet je nach Kamera Platz für 2000 bis 5000 Bilder. Das heißt man kann eigentlich konsequent auf den Serienauslöser drücken und sortiert dann nachher am Computer 17 Bilder vom gleichen Motiv aus und behält nur eins davon. Ein 35mm-Film bietet normalerweise Platz für 36 Bilder, was dazu führt, dass man seine Motive sorgfältiger auswählt, da sowohl die Filme als auch die Entwicklungskosten teuer sind. Also macht man meist nur ein Bild pro Motiv.
Für mich kommt noch ein dritter Aspekt hinzu. Weil ich meine Schwarz-Weiß-Filme selbst entwickle, übernehme ich einen weiteren Teil des Prozesses. Dadurch entsteht meiner Meinung nach noch ein kleines bisschen mehr Verbundenheit zu den eigenen Bildern. Die Freude ist umso größer, wenn einem dann ein wirklich gutes Bild gelingt. Beim Fotografieren mit digitalen Kameras ist man eher genervt davon, wenn ein Bild mal nicht klappt. Da ist das Gelingen nichts Besonderes mehr.
Sinneswahrnehmungen
Hier beginnt nun endlich der Bereich in dem man analogen Film mit Wein vergleichen kann. Dazu eine kurze Anekdote:
Vor einigen Monaten habe ich überrascht festgestellt, dass vier bzw. acht Schwarz-Weiß-Filme im Handel identisch sind. Zwar kommunizieren die Hersteller das nicht offen, doch Analysen der Bilder und des Filmmaterials lassen kaum Zweifel daran, dass diese Filme unter verschiedenen Namen vermarktet werden, aber im Wesentlichen identisch sind. Die Betonung liegt hier aber auf “eigentlich”, denn es gibt immer noch genügend Mitglieder der analogen community, die das anzweifeln und behaupten, Film A sei aber doch ganz augenscheinlich kontrastreicher und grobkörniger als Film B und Film C. Als ich das gelesen habe musste ich ein wenig schmunzeln, denn es erinnerte mich an die Winzer, die beispielsweise in der Umstellung auf biodynamischen Weinbau sind und innerhalb von einigen Jahren keinen Stein auf dem anderen lassen. Da wird so viel verändert vom Lesezeitpunkt über den Rebschnitt im Winter, die Bodenbearbeitung, die Entblätterung der Traubenzone, die Intervalle beim Spritzen usw. Aber natürlich auch die Ausbringung von Hornmist, Hornkiesel, Brennesseltee und einigen anderen biodynamischen Präparaten. Aus diesem Grund ist es dann immer nicht so wirklich sinnvoll zu sagen, dass es den Reben besser geht bzw. die Weine besser werden und man das zielgenau auf diese eine Änderung zurückführen kann. Selbst wenn Winzer behaupten, solche Details täglich in ihren Weinbergen zu beobachten, bleibt das eine schwierige Angelegenheit. Unsere Sinne sind einfach nicht dafür gemacht, solche Feinheiten präzise zu erfassen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vielleicht liegt die Wahrheit manchmal weniger im Sehen und Fühlen als in den Fakten, die wir oft übersehen – egal ob im Weinberg oder bei der Filmauswahl. Hier ein konkretes Beispiel passend zum heutigen Wein.
Vermentino oder nicht?
Vermentino ist in meinen Augen keine besonders tolle Rebsorte. Die Vermentino-Fans unter euch werden mich jetzt natürlich steinigen, aber ich schätze, dass es nicht so viele davon gibt. Meiner Erfahrung nach macht man aus Vermentino meist frische, fruchtige aber recht körperreiche Sommerweine, welche aber weder für ihren großen Anspruch noch ihre Lagerfähigkeit berühmt sind. All das soll nicht aussagen, dass man nicht auch anspruchs- und eindrucksvolle Weine aus Vermentino machen kann, aber die Anzahl davon ist nicht so enorm. Mir ist der einfache Vermentino oft zu alkoholstark dafür, einfach als Trinkwein im Sommer herhalten zu können und hat dann nicht genug Komplexität und Substanz um als kraftvolle “fette Schnecke” à la Napa-Chardonnay, weißem Hermitage oder Condrieu durchzugehen. Da greife ich dann lieber zu etwas anderem wenn es um easy drinking gehen soll.
Worauf ich aber eigentlich hinaus will ist etwas anderes. Wie so viele andere Rebsorten hat Vermentino je nach Herkunft einen anderen Namen. In Ligurien nennt man ihn Pigato, in der Provence Rolle und im Piemont heißt er Favorita. Dennoch gibt es auch hier und da immer wieder Leute, die darauf bestehen, dass ihre lokale Bezeichnung von Vermentino auch auf eine eigenständige Rebsorte hindeutet. “Ich seh doch, unsere Rebsorte hat größere Blätter, lockerbeerigere Trauben, o.Ä.” … Wer kennt die Geschichte vom Sangiovese Grosso in Montalcino, welcher besser und lagerfähigerer sein soll als herkömmlicher Sangiovese, damit man Brunello besser vermarkten konnte? Ansonsten hier einmal zum nachlesen. Warum wir als Menschen in solchen Fällen nicht einfach auf die Experten der Rebgenetik hören, demonstriert eigentlich etwas sehr schönes. Denn auch wenn wir selbst nicht die idealen Messinstrumente sind, so zeigt diese Beharrlichkeit auf etwas objektiv falsches eindeutig eines: Stolz. Während langezeit alle Weinwelt ein paar Weinarchetypen hinterhergerannt sind, so wird nun seit vielen Jahren schon immer mehr auf Regionalität, auf teilweise unbekannte autochtone Rebsorten und auf Terroir Wert gelegt. Davon profitiert die Weinwelt meiner Meinung nach ganz stark, denn wir brauchen eben nicht auch noch den tausendsten Pinot oder Sauvignon Blanc aus einer Region, die auch eigentlich andere Rebsorten im Angebot hätte.
Der Wein
Dass es heute um einen Vermentino gehen würde, war sicherlich keine Überraschung mehr. Allerdings ist es natürlich nicht irgendeiner sondern der Baume-Noire 2021 vom Weingut Clos Sainte Magdelaine. Wir befinden uns hier zwischen Cassis und den Calanques im südlichsten Teil der Provence. Vom Weinberg aus geht es steil die Klippen zum Mittelmeer herunter. Hier am so genannten Cap Canaille hat sich Winzer Jonathan Sack neben Provence-typischen Rosé auf charaktervolle Weißweine spezialisiert. Einer davon ist dieser Vermentino aus einer sélection massale, welcher auf kargem Kalkboden steht und in gebrauchten 1000l-Fässern ausgebaut wird. Er wird ungefiltert gefüllt und hat den Anspruch erst noch zwei bis drei Jahre zu reifen.
Im Glas
Die Nase ist zu Beginn recht verhalten. Ein bisschen reifes Steinobst und dann kommt, wie bei reifem Chardonnay, so eine Mischung aus Birne, reifem Apfel und Quitte dazu. Die Frucht ist ganz leicht mostig und diffus, aber nicht so sehr, dass man an natural denken würde. Ich find das tatsächlich ganz sexy. Am Gaumen geht dann aber die Geschmacksexplosion los. Der Wein schmeckt viel ausdrucksstärker als er riecht. Anfangs hat das eine wirklich süße Frucht wie ein Chenin Blanc, aber dann kommt im Mittelteil eine sehr dominante Würze, die ich in dieser Art sonst nur von weißen Weinen der Rhône kenne. Im Abgang schafft der Wein dann auch noch das Kunststück und klingt mit kreidiger, schmirgelnder Phenolik aus. Ich bin ein klein wenig begeistert.
Nach zwei Tagen offen erkenne ich die Nase kaum wieder, denn der Wein hat einen Briocheton bekommen, wie man ihn sonst hauptsächlich von Champagner kennt. Zur dominanten Würze hat sich ein spürbarer Bitterton gesellt, der mir nicht negativ auffällt, aber für Weißweintrinker, die empfindlich darauf reagieren, könnte das zu viel sein.
So habe ich Vermentino noch nie erlebt, und daher würde ich sagen, dass er kein typischer Vertreter der Rebsorte ist. Dennoch ist das ein sehr sehr guter Wein und ein Zeugnis vom Können seines Schöpfers. Es erinnert mich ein wenig an Gutedel: Keine besonders herausragende Rebsorte, aber es gibt Winzer, die daraus etwas Beeindruckendes schaffen. Wenn man ihn hier findet, muss man das mal probieren. (€€€)