Die meisten von euch die ihr hier diesen Blog lest kennen vielleicht die Situation. Man ist unterwegs in einer witzigen Runde Menschen. Die meisten kennt man nicht oder zumindest noch nicht richtig gut. Das Essen ist lecker, die Stimmung ist gut und man hat insgesamt einfach einen schönen Abend … und dann passiert es. Irgendwo am Tisch fällt das Wort „Wein“ und jemand kommentiert spontan: „Ach ja, Gero (oder hier euren Namen einfügen) ist doch ‚Weinkenner‘, richtig?“. Ihr seufzt innerlich kurz und denkt euch: „Es hätte doch ein so schöner Abend sein können …“. Auf einmal seid ihr unter Zugzwang euer komisches Hobby zu erklären, könnt aber nicht einfach so loslegen mit der Schwärmerei über Regionaltypizitäten von Riesling-GGs, den typischen Pfefferton im Grünen Veltliner oder die vielfältigen Arten Wein in unterschiedlichen Fässern auszubauen, denn man will ja nicht komplett mit der Tür ins Haus fallen. Was ich hier vielleicht latent überspitzt dargestellt habe, passiert mir aber sehr regelmäßig und wirft eigentlich im Nachhinein immer die gleiche Frage auf: Wie erkläre ich anderen (interessierten) Menschen warum ich (in meinem Fall auch noch als Student) mich für Wein begeistere ohne dabei vollends in den Nerdtalk abzudriften?
Der Ritt auf der Rasierklinge vs. mit Ansage aufs Maul
Meiner Einschätzung nach gibt es was das Problem angeht ein Spektrum von Herangehensweisen. Beim sehr zurückhaltenden und vorsichtigen Ritt auf der Rasierklinge muss man tunlichst darauf achten, nicht zu schnell zu sehr in die Tiefe zu gehen und sollte möglichst stark auf die (vermeintliche) Unkompliziertheit von Wein eingehen um dadurch das Thema in zugängliche und verständliche kleine Häppchen einzuteilen. Am anderen Ende des Spektrums befindet sich dann der metaphorische Obelix, der mit einem großen „Weinwissens-bodycheck“ alles umbolzt was nicht bei drei auf dem Baum ist. Das läuft dann eher nach dem Motto „Friss oder stirb“. Wer nach so einer Bombe noch Bock auf eine intensivere Beschäftigung mit Wein hat, der hat wahrscheinlich unterbewusst nur auf so eine Situation gewartet. Wer aber jetzt plattgewälzt auf dem Boden liegt, der trinkt danach tendenziell eher lieber wieder Bier oder ähnliches und kotzt sich (in gewissen Maßen zu recht) bei seinem Umfeld am nächsten Tag über den Obelix aus.
Ich persönlich bin häufig eher in der gemäßigteren Richtung unterwegs. Ich zwänge anderen mein Hobby ungern auf. Wenn man mich aber einmal angeworfen hat, kann ich ohne Probleme stundenlange Vorträge über’s Blindverkosten, über die Problematik heißer Jahrgänge beim Riesling oder die Eigenarten mancher dogmatischer biodynamischer Winzer halten. Da das aber nur so semi interessant ist für Menschen, die keine Ahnung davon haben warum ihnen dieser Wein jetzt schmeckt den ich mitgebracht habe, wo sie doch sonst niemals beispielsweise süßen Wein oder Weißwein mit Holz trinken, versuche ich mich so unkompliziert wie möglich auszudrücken. Auch erwische ich (bzw. meine Freundin) mich in letzter Zeit häufiger dabei, dass ich bei manchen Rückfragen etwas ausweichend werde und betone, dass es dieses oder jenes zwar schon beim Wein gibt, aber das ja gar nicht so relevant sei. Ich versuche da scheinbar krampfhaft die Leute nicht überfordern zu wollen und tappe so ein bisschen in die „Toni Askitis-Falle“.
Wein ist unkompliziert?
Ich bin mir sicher, dass den meisten der Name geläufig sein wird, aber hier eine kurze Erklärung für alle anderen. Toni Askitis ist ein deutsch-griechischer Sommelier der seit einigen Jahren nicht mehr als solcher arbeitet, sondern sich eine neue Existenz als „asktoni“ auf Instagram aufgebaut hat. Dort tritt er als Wein-liebender Skateboarder auf und versucht auf diese Art das teilweise ziemlich alte und staubige Image des Weins zu entschlacken und das Thema einer jüngeren Zielgruppe nahezubringen. Er veranstaltet Fahrradtouren an der Mosel und er hat inzwischen sogar seinen eigenen Pommes und Wein-Imbiss in Düsseldorf. Vor allem berühmt ist er aber für sein Donnerstagsformat bei dem er morgens eine instastory postet auf die man reagieren kann und Fragen stellen kann. Er stellt sich dann als Experte zur Verfügung und versucht teilweise in unter zehn Sekunden sehr komplexe Themen herunterzubrechen. Häufig wird er auch gefragt was man für Wein zu gewissen Gerichten trinken sollte oder er nutzt dieses Format am Donnerstag als Plattform um seine befreundeten Winzerkolleg:innen zu promoten.
An sich schätze ich seine Arbeit sehr. Dieses Thema auf diese Weise Anfängern zu erklären ist keine leichte Aufgabe und erfordert sehr viel tatsächliches Wissen um dieses dann auf die richtigen und relevanten Punkte runterbrechen zu können. Aber seiner Aussage Wein sei „unkompliziert“ stimme ich einfach nicht zu. Man kann es sich zwar einfacher machen und einige Dinge, die erstmal nicht sehr relevant sind, weglassen, aber das ändert nicht die Tatsache, dass man extrem tief in die Materie eintauchen muss um zu verstehen warum manche Weine schmecken wie sie schmecken. Es gibt nicht umsonst Lehrstühle für Weinbau und Önologie. Und genau das ist der Grund warum ich bei „neuen“ Leuten immer erstmal recht zurückhaltend bin. Man kann zwar sehr simpel erklären wie man restsüßen Weißwein macht, aber wenn es darum geht warum das jetzt genau an der Mosel besser funktioniert als in der Rioja … das dauert.
Was also tun?
Ich bin großer Fan von Authentizität. Ich erzähle gern wie ich zum Wein gekommen bin und was mich daran fasziniert. Wein ist, gerade in jüngeren Runden, häufig recht verstaubt was das Image angeht und die wenigsten haben mehr Bezugspunkte als dass Papa gern Grauburgunder trinkt und man selbst als Teenager zum Saufen immer Morio-Muskat lieblich für 2,79€ beim Rewe gekauft hat. Wenn man dann direkt mit der vollen Breitseite Weinnerdtums ankommt, erzeugt das mehr Unverständnis und vor allem falsche Bescheidenheit beim Gegenüber als dass es für echtes Interesse sorgt. Da kommt dann häufig so was zurück wie: „Ich hab da ja keine Ahnung von. Ich trinke nur gerne.“, wo per se ja auch nichts schlecht dran ist, aber die komplette Dröhnung ist halt einfach nicht besonders einladend bzw. wirkt tendenziell sehr elitär. Und wenn man eins nicht gebrauchen kann, dann ist es eine elitäre Einstellung bei der Kommunikation über Wein.
Syrah – ein großes Versäumnis
Was manchmal hilft um selbst wieder ein bisschen mehr Bodenhaftung in der Weinrealität zu finden, ist die Beschäftigung mit Weinen von denen man eigentlich keine Ahnung hat. In nun bald vier Jahren intensiver Beschäftigung mit diesem wunderbaren Gesöff habe ich viele der etablierten und relevanten Weine der Welt getrunken und kennengelernt, habe dabei aber auch die ganze Zeit offene Augen für kleine nischige Weine und Regionen behalten. Bei allem habe ich aber bisher eigentlich eine der großen Rebsorten der Welt immer ziemlich außen vor gelassen, nämlich den Syrah. Irgendwie habe ich mir in all der Zeit immer gedacht: „Das kommt irgendwann auch noch.“ und dann kam es bisher nie wirklich. Natürlich habe ich schon Syrahs getrunken, aber nie so wirklich mit dem Gedanken die Rebsorte wirklich mal kennenzulernen. Das sollte sich nun in 2024 ändern. Also habe ich mir eine Art Schlachtplan gemacht. Ich werde über das Jahr verteilt immer wieder aus den wichtigsten Gegenden und Appellationen Syrahs aussuchen um zu verstehen, was diese Rebsorte kann, wo die Unterschiede liegen und was mir davon am besten gefällt. Diesen Tipp gebe ich auch gerne mal Leuten, die das irgendwie spannend finden was ich erzähle. Sobald man mal so die gröbsten Kategorien probiert hat, dann such dir eine raus und beschäftige dich damit mal in der Tiefe. So reist es sich einfach sehr gut durch die Weinwelt.
Die Weine
Château de Saint-Cosme Côtes-du-Rhône 2022
Wer die „simple club“-Videos kennt, der wird wissen welcher Satz hier stehen muss … „So, dann fangen wir doch erstmal mit den Basics an“. Eigentlich ist Côtes-du-Rhône ja eher ein Thema für nur kleine Anteile Syrah und deutlich mehr Grenache und das ganze andere Zeug was unten an der Südrhône wächst, aber bei Saint-Cosme ist das anders. Hier besteht das Zukaufsprojekt CdR von Winzer Louis Barruol aus 100% Syrah. Die Hälfte kommt aus Vinsobres, die andere aus dem Châteauneuf-du-Pape. Also zu 50% aus kühleren höher gelegenen Lagen und zu 50% aus dem Hitzekessel, der seit einigen Jahren nun stark mit eklatant hohen Oechsle-Werten zu kämpfen hat. Der Wein bleibt komplett im Edelstahl, was ihm einen erstaunlich schlanken Stil verpasst, den ich in einem solch heißen Anbaugebiet eigentlich nicht vermutet hatte.
Zu Beginn ist das in der Nase erstmal etwas ruppig und unruhig, aber mit viel Frucht. Zuerst ist diese noch recht diffus und meandert irgendwo zwischen heller Sauerkirsche und Cassis. Mit deutlich mehr Luft setzt sich aber die hellere Art durch. Dahinter kommt Anis, wirklich nur ein wenig Pfeffer und etwas Sattelleder. Am Gaumen ist das dann ziemlich unverschnörkelt und schreit mich an als „Rotwein par excellence“. Das ist leicht herb im Abgang durch den dezenten Gerbstoff, bleibt aber dabei schon saftig. Der Wein wird sehr von der schönen Frucht und der stabilen Säure getragen und ist mit 14% Alkohol zwar kein Leichtgewicht, wirkt aber überhaupt nicht fett. Ich trink das gern und kann mir gut vorstellen, dass das zu vielem verschiedenen Essen passt. Den Keller würde ich mir davon zwar nicht vollmachen, aber das ist trockener Rotwein der nicht streng wirkt, aber auch nicht zu sehr mit besonders aufregenden Attributen um sich winkt. Guter Einstieg. (€)
Ferraton Père et Fils Crozes-Hermitage „Les Pichères“ 2020
Das ganze Thema Syrah wird an der Nordrhône deutlich präsenter behandelt als im südlichen Teil. Hier widmen sich die Appellationen teilweise fast nur dieser einen Rebsorte was Rotwein angeht. Ich will mich langsam durch die Appellationen vorarbeiten um die Unterschiede mal grob kennenzulernen. Ich fange im Crozes-Hermitage an, weil die Weine tendenziell als früher trinkbar gelten und auch preislich meist sehr moderat sind. Trotzdem soll es auch hier kleine Diamanten geben, die viel Freude bereiten. Ich meine hier einen solchen gefunden zu haben.
Gelernt hat er bei Chapoutier und heute erzeugt Samuel Ferraton eigenständig fantastische biodynamische Weine. Dieser „Les Pichères“ ist eine kleine Einzellage, keine zwei Hektar groß. Ausgebaut wird er erst im Beton mit 20% Rappenanteil und anschließend im gebrauchten kleinen Holz und im Beton. Dieser hier hat ein wenig Flaschenreife bekommen, die man ihm tatsächlich auch anmerkt. Aromatisch befinden wir uns zwar tendenziell immer noch auf dem Bauernhof, aber dazu kommt ein deutlicher Eindruck von Waldboden, Moos und Pilzen. Das ist schon eine kleine Welt die zwischen ihm und dem Côtes-du-Rhône liegt. Zusätzlich zur deutlich dunkleren Frucht kommt hier noch so etwas von dieser Umami-Idee dazu, die man irgendwie schlecht erklären kann – also ich zumindest. Aber die Frucht ist absolut betörend und fast schon explosiv. Mit einigen Tagen Luft wird sie dann deutlich präziser, aber zu Beginn schwappt sie fast aus dem Glas heraus. Allerdings heißt das nicht, dass das irgendwie marmeladig oder anders diffus ist, denn dieser Eindruck wird sehr gut von frischer Minze bzw. fast schon Eukalyptus eingefangen.
Ich finde diesen Wein unheimlich komplett und abgerundet. Nicht, dass er keine Ecken und Kanten hat oder gar „abgeschliffen“ wirkt, aber am Gaumen dominiert nichts so sehr, dass man es besonders hervorheben sollte. Antrunk – Mittelteil – Abgang … alles da und alles mittel bis stark ausgeprägt. Das heißt zwar irgendwo auch, dass das noch nicht zur Kategorie der ganz ganz großen Weinerlebnisse zählt, aber mir gefällt der Wein unheimlich gut. Auch ihn finde ich überhaupt nicht schwer oder gar fett obwohl auch er nördlich von 14% Alkohol liegt. Andererseits bin ich als großer Piemont-Fan ja sowieso nicht so empfindlich was das angeht. (€€)
Ich mag insbesondere den Crozes-Hermitage sehr. Beim Côtes-du-Rhône wird so ein bisschen meine Gutsriesling-Problematik wieder bedient. Denn das ist herrvorragender Basiswein, aber instinktiv würde ich für diese Kategorie trotzdem vermutlich eher zu anderen Weinen wie Barbera, Chianti oder Tempranillo greifen.
Auf der anderen Seite der Trends
Gefühlt geht Syrah oft zwischen der ganzen Masse an Pinots und den neuen, lange unbekannten Rebsorten unter – zumindest in meinem Umfeld. Das verhält sich irgendwie ein bisschen wie im Bordelais. Man weiß davon und kann anerkennen, dass es zu den großen Rotweinen der Welt gehört, aber die großen Begeisterungsstürme werden nicht ausgelöst. In den Flaschenparaden auf Instagram sieht man, was Rotwein angeht, eigentlich immer nur Burgund, dann noch mehr Burgund, einiges an Loire und viel Pinot aus aller Welt, aber wer packt denn da heutzutage noch einen Hermitage oder Côte-Rôtie aus?
Gefühlt haben immer weniger Weintrinkerinnen und Weintrinker Lust auf körperreichere Rotweine. Gesucht werden die Weine die entweder selbst Burgunder sind oder in der jeweiligen Region am ehesten an solche erinnern. Hohe Alkoholwerte sind absolutes Gift und werden mit der Kneifzange nicht angefasst. „Frische“ auch im Rotwein wird teilweise über alles gestellt. Ich mein‘, ich würde mich auch über Priorat oder Rioja mit 12.5% Alkohol freuen, aber was dann an Spannung und Tiefe für die Frische geopfert würde, wäre es mir höchstwahrscheinlich nicht wert. Also schwimme ich gerne in nächster Zeit ein bisschen gegen den Strom und wage mich in die Welten der ungehypten Klassiker vor – jedenfalls teilweise. Ein bisschen unreifer Sauerkirschsaft muss aber auch hin und wieder dabei sein ;).
2 Antworten auf „Wie nerdet man richtig?“
…in die Situation kommt wohl jeder Nerd mal, und zwar unabhängig davon, ob er ein Wein-, Motorrad- oder Briefmarkennerd ist. Tatsächlich haben die meisten meiner Bekannten, die weinseitig allenfalls „interessiert“ sind, dann irgendein anderes Hobby / eine andere Leidenschaft, wo ich nicht mitreden kann. So hebele ich die manchmal aufkommenden Frotzeleien aus, wenn mir unterstellt wird, ich wäre weinseitig zu abgehoben. Ich versuche aber auch niemanden zu missionieren, bei Erläuterungen gehe ich nur soweit, wie ich meine, daß auf der Gegenseite noch ein Interesse da, das Abgleiten ins Oberlehrerhafte sollte man tunlichst vermeiden. Ist einfach eine Frage der hoffentlich vorhandenen Empathie…
Da kann ich nur zustimmen 🙂