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€€€€ Weintagebuch

100 Punkte und die perfekte Reife

Dieser Beitrag ist eigentlich die Fortsetzung bzw. die Antwort auf einen unveröffentlichten Text aus der Zeit vor dem Blog. Damals hatte ich den ersten Wein im Glas, bei dem ich das Gefühl hatte, dass das nur noch anders, aber nicht mehr besser geht. Dieser Wein war „Schloss Lieser Niederberg Helden GG 16“ und somit mein erster 100 Punkte Wein. Ich habe damals über die Thematik der Weinbewertung und meine eigene Herangehensweise gesprochen. Das ist zwar sicher auch etwas, was ich mal in einem separaten Blogbeitrag behandeln könnte, aber heute soll es um etwas anderes gehen.

Reifeverhalten in Zeiten des Klimawandels

Was das Thema optimale Trinkreife angeht, scheiden sich die Geister. Gerade wenn es um Riesling-GGs geht, sagt eigentlich jeder Fachmann oder Fachfrau etwas anderes. Für die einen kann es gefühlt nicht alt genug sein, andere richten sich strikt nach den häufig gewählten zehn Jahren Reife und wieder andere wagen Prognosen über Zeiträume, in denen sich der Wein verschließen wird. Ich werde in diesem Beitrag keineswegs behaupten, dass der eine recht hat und der andere unrecht, aber meine Erfahrungen mit Riesling-GGs aus verschiedenen Jahren hat mir doch schon die eine oder andere Ungereimtheit in diesen ganzen Regeln aufgezeigt. Jedoch was definitiv heraussticht ist die Heterogenität der Reifefortschritte von Weinen aus den extrem heißen Jahrgängen der letzten Jahre (21 natürlich ausgenommen). Nachdem ich in den letzten drei Wochen einige Rieslinge aus 2019 probiert habe, konnte ich beim besten Willen keinen halbwegs konstanten Reifezustand ausmachen. Es gab Weine wie Wittmans Aulerde, die zwar was die Komplexität anging, eher auf einem soliden Ortsweinniveau waren, aber reifemäßig noch nicht sehr weit fortgeschritten waren. Und andererseits hatte der Rüdesheimer Estate von Breuer eine Nase wie ein sieben bis zehn Jahre alter Riesling. Ich fand ihn zwar unglaublich lecker und sehr gut für einen Ortswein, aber diese fortgeschrittene Reife passte irgendwie überhaupt nicht ins Bild, vor allem, da der Wein schraubverschlossen war. Quasi das gleiche Problem zeigten der Zeller Schwarzer Herrgott vom Weingut Janson-Bernhard aus gleichem Jahr sowie der Würzburger Stein-Berg vom Juliusspital, der aber die Reifenoten mit ganz viel Phenolik und Struktur puffern konnte. Daraufhin bekam ich ein etwas ungutes Gefühl was meine ganzen 19er Rieslinge anging, weshalb ich da nochmal ran musste.

Der Wein

Diesmal ging der Griff ganz weit oben ins Regal zu einem der wenigen ganz großen Namen in meinem Keller. Dr. Bürklin-Wolf Ruppertsberger Reiterpfad G.C. 19 ist zwar nicht der größte Wein des Weinguts, aber Bürklin produziert unter Nicola Libelli seit vielen Jahren schon Riesling auf allerhöchstem Level. Ich kannte bis dahin nur ein bis zwei Ortsweine und Erste Lagen aus 19 inklusive zweier GGs aus 18, die zwar sehr, sehr gut waren, aber mich nicht restlos begeistert haben. Das war bei diesem Wein definitiv anders. Auf den genauen geschmacklichen Eindruck gehe ich später noch ein, aber es muss auch jetzt schon einmal gesagt sein, dass das seit dem 16er Schloss Lieser der größte Wein war, den ich bis dato getrunken habe. Was aber vor allem interessant und relevant war, ist, dass er keineswegs die Probleme mit der viel zu weit fortgeschrittenen Reife hatte, die der ein oder andere 19er in letzter Zeit hatte. Das einzige Manko des Weins war, dass er mit etwa einem Viertel Rest in der Flasche nach zwei Tagen im Kühlschrank hinüber war. Das hatte ich zwar tatsächlich nicht erwartet, es war aber eigentlich egal, denn er hatte frisch geöffnet schon so abgeliefert.

Als letzten Punkt möchte ich nochmal auf das Trinkfenster eingehen. Als ich den Wein im letzten Jahr im Fachhandel in Wachenheim gekauft habe, wurde mir gesagt, dass der Reiterpfad einer der früher zugänglichen Weine von Bürklin sei. Da ich noch keine Jahrgangs- und Lagenvertikalen von Großen Gewächsen bei diesem Weingut probiert habe, kann ich diese Aussage weder bestätigen noch ihr widersprechen. Allerdings kann ich guten Gewissens sagen, dass dieser Wein absolut trinkreif ist. Er hat mit seinen knapp drei Jahren schon so viel Tiefe und Komplexität, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, dass das noch besser werden könnte. Darüber hinaus fehlt mir, als Student, dann aber auch einfach das Geld, um von einem solchen Wein mehrere Flaschen zu kaufen um alle paar Jahre zu probieren, wie er sich entwickelt hat. Da bin ich dann einfach glücklich und zufrieden, dass dieser Gigant auch jung schon so viel zeigt.

Im Glas

Beim ersten Reinriechen dominiert noch die Bürklin-typische leichte Reduktion, die zwar präsent, aber keineswegs zu dominant ist. Im Gegensatz zu Emrich-Schönlebers Frühlingsplätzchen aus gleichem Jahr ist der Wein ein ganzes Stück weniger intensiv und glänzt hauptsächlich durch eine Harmonie, die ihresgleichen sucht. Es fällt recht schwer einzelne Aromen auszumachen, da man dieses Gesamtkunstwerk eigentlich lieber einfach wirken lassen will. Nach einigen Minuten Genießen spielen sich dann aber doch ganz noble Noten von Eukalyptus, Orangenschale, Blüten und sehr dezentem Honig in den Vordergrund. Der Wein hat nichts Überreifes geschweige denn irgendwelche frühzeitigen Alterungsnoten, dafür aber genau die richtige Spannung und Intensität. Am Gaumen bewegt sich die Säure genau auf diesem schmalen Grat von präsent und tragend, ohne dabei aber spitz oder harsch zu werden. Dazu kommt eine unglaublich feine Phenolik, die etwas Struktur bringt und eventuell sogar etwas die knapp 5 g Restzucker puffert.

Für mich ist das absolut grandios und zu meinem Glück schon der zweite Wein des Jahres aus der Kategorie „100 Punkte“. Obwohl das im internationalen Vergleich sicherlich sehr fair bepreist und teilweise sogar günstig ist, gehört er doch für mich auch zur Kategorie „best bottle“ und ist somit ein seltenes Ereignis. Aber wenn diese Weine immer so sind, warte ich gerne auf das nächste. (€€€€)

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