Das Statement ist, so formuliert, tatsächlich mal ausnahmsweise nicht an John F. Kennedys ikonische Rede vor der Berliner Mauer angelehnt. Es geht um etwas viel Banaleres: Abiturienten und ihre Vorstellungen von Selbstfindungsreisen.
Was ist eine Lisa?
Die Frage klingt zwar für die meisten Leute erstmal dumm. „Was soll das schon sein? Ein Name, offensichtlich“. Das stimmt an sich, allerdings werden bestimmt viele „Gen Z’s“ sofort wissen, worauf ich hinaus will. Warum die Wahl damals genau auf „Lisa“ fiel weiß ich nicht. Der Name hat sich aber vermutlich durch den „gutbürgerlichen“ Anstrich als Symbol für dieses Generationen-Phänomen etabliert. Wenn man jemanden eine Lisa nennt, geht es eigentlich immer um ein bestimmtes Verhaltensweise und die sieht so aus:
Du hast gerade dein Abitur bestanden, möchtest aber weder sofort studieren gehen, noch eine Ausbildung, ein freiwilliges soziales/ökologisches Jahr machen, noch einfach irgendwo arbeiten gehen. Also, was machst du? Du legst ein „gap year“ ein. Das klingt erstmal schöner als „12 Monate Pause machen“. Weil du bei anderen älteren Abiturienten gesehen hast, dass man in so einem gap year super Reisen gehen kannst, machst du Pläne für einen längeren Auslandsaufenthalt, der erstmal ganz locker, ganz casual ohne konkrete Reiseziele und Reisedaten sein soll. Wenn du zu Hause danach gefragt wirst, was du denn nach dem Abi machst, antwortest du ganz cool, dass du ein halbes Jahr lang „work-and-travel“ machen willst. Vorzugsweise in Australien, denn das klingt aufregend, ist aber kulturell doch sehr nah am bereits bekannten Mitteleuropa, ganz weit weg und, der wichtigste Aspekt, du kannst da dein Englisch verbessern, um noch besser und auch ohne Untertitel die angesagtesten amerikanischen Serien als „original version“ auf Englisch bingen zu können.
Wenn du dann nach sechs Monaten vielem „travelns“ und wenig „workens“ zurück nach Deutschland kommst, erlebst du natürlich erstmal einen massiven Kulturschock, denn, dass quasi alle Menschen in deiner Umgebung Deutsch reden bist du ja gar nicht mehr gewöhnt. Deswegen hast du keine andere Wahl als jeder Person, mit der du redest, unmissverständlich klarzumachen, dass du gerade in Australien warst und sie deswegen Verständnis haben müssen, wenn du hin und wieder vergisst, wie man das ein oder andere Wort nochmal auf Deutsch sagt. Darüber hinaus musst du in einigen Nebensätze noch anmerken, wie „awesome“ und „amazing“ es doch dort war und wie sehr du dich während dieser Reise selbst „gefunden“ hast. Das ist noch so einer der Aspekte, warum work-and-travel schon seit Jahren bei Abiturienten so sehr im Trend liegt. Wenn man sich genötigt fühlt seine „Erderkundungs-Extravaganzen“ gegenüber kritischen Großeltern, Tanten, Onkeln oder anderen Verwandten, die allesamt betonen, dass man „damals“ noch was „Gescheites“ gemacht hat, verteidigen zu müssen, kann man damit argumentieren, dass man etwas für die eigene Selbst(er)findung getan hat. Das klingt irgendwie nach etwas, das „die jungen Leute heutzutage“ machen würden und bietet genug Anlass für die älteren in konservative, kritische Nostalgie auszubrechen. Ok Boomer.
Wie ich zur Lisa wurde
Wenn ich ganz ehrlich bin, ist das oben beschriebene natürlich ein Extrembeispiel, aber ich hab vor und nach dem Abi damals gestaunt wie viele Mitschüler und Mitschülerinnen großen Teilen dieses Stereotyps entsprachen. Außerdem ist trotz des möglicherweise leicht hämischen Untertons meinerseits, bei mir über die letzten zehn Monate ein gewisses Verständnis für diese Leute und sogar etwas Sympathie entstanden. Diese zehn Monate habe ich über das Studentenaustauschprogramm „Erasmus“ an der University of Southampton verbracht. Als zukünftiger Englischlehrer erschien es mir, als ziemlich sinnvoll mal eine längere Zeit in einem Land zu leben, wo standardmäßig Englisch gesprochen wird. Und so geht in zwei Wochen meine Zeit unter sechs teils ziemlich chaotischen britischen Erstsemestlern im Studentenwohnheim zu Ende.
Was soll ich sagen? Ich bin jetzt eine Lisa… Ich finde mich in immer mehr Konversationen auf Deutsch wieder, in denen ich aktiv denke: „Wie sagt man das nochmal auf Deutsch?“ Ein bisschen peinlich, aber immerhin finde ich noch nicht auf einmal alles „amazing“, „crazy“, „breathtaking“ und „awesome“… zumindest hat mich noch keiner drauf aufmerksam gemacht.
Was hat das alles mit Wein zu tun?
Der heutige Wein ist der A Lisa 2019 von der Bodega Noemia aus Patagonien. Der Winzer Hans Vinding-Diers hat den Namen zwar als Hommage an seine Großmutter Lisa gewählt, aber er war einfach zu passend für meine kleine Anglistik-Anekdote. Dann kommt sogar noch hinzu, dass andere meiner Mitschüler und Freunde lieber nach Südamerika als nach Australien gingen und insbesondere Patagonien auch noch auf meiner Reiseliste steht. Dann allerdings gerne noch weiter südlich als dort wo dieser Wein wächst.
Der A Lisa liegt zu 20% neun Monate lang im gebrauchten Barrique. Der Rest lagert im Stahltank. Die Cuvée besteht zu 90% aus Malbec mit 10% Merlot.
Im Glas
Der erste Eindruck ist zwar ziemlich kräftig, aber trotzdem ganz fein; Nase ziemlich von Pflaume und Zimt geprägt; dann kommt ein bisschen was von Rumtopf/Bowle. Die Zimtnote führt tatsächlich ein bisschen in Richtung Glühwein, aber nicht auf die unangenehme Weichnachtsmarktabsturzart. Dann kommt Holz, Vanille und Amarenakirschen. Wer darüber hinaus schon mal in einem Pferdestall war, wird mit dem Begriff „Sattelleder“ auch in diesem Kontext etwas anfangen können. Am Gaumen wird der Wein hauptsächlich über seine wirkliche schöne dunkle Frucht und einen feinen Gerbstoff geprägt, im Abgang mischt sich dann auch ein bisschen Säure mit ein, dadurch wirkt er nicht breit und massiv. Ich finde ihn jetzt sehr gut trinkbar, wobei er auch sicher noch einige Jahre reifen könnte. Er ist kein Strukturmonster, aber die kräftige Frucht wird genug gepuffert, um auch bei 14% Alkohol noch für tollen Trinkfluss zu sorgen, denn den hat er definitiv. Ein bisschen deftiges Essen würde zwar sicher gut funktionieren, braucht er aber nicht. Wunderschöner Wein.(€€)