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€€€€ Weintagebuch

Flucht aufs Weingut

Ich bin bisher wenig Menschen begegnet, die große Fans der Corona-Pandemie waren. Manch einer verdankt den Umständen dieser Zeit vielleicht seine größere Flexibilität durch Homeoffice oder ähnlichem, aber für mich war die Umstellung vom Hörsaal ins alte Kinderzimmer keine schöne. Der Wechsel von einem regen Meinungsaustausch in Seminarräumen hin zu einem kollektiven Anschweigen in Zoom call-breakout rooms tat mir nicht gut. Nach zwei Online-Semestern hatte ich genug. Irgendwas musste sich verändern.

Ungefähr ein Jahr zuvor hatte ich im badischen Durbach durch Zufall meine Begeisterung für Wein entdeckt. Seitdem ging ein sehr großer Teil meiner Freizeit fürs über Wein Lesen, Hören, Schauen und natürlich fürs Probieren drauf. Innerhalb weniger Monate war ich sehr tief im Thema eingetaucht. Heutzutage weiß ich natürlich, dass selbst da erst nur der Anfang gemacht worden war, aber rein über Webweinschule, Magazinbeiträge und Lexikoneinträge kam ich gerade nicht mehr weiter. Warum das Ganze dann nicht mal “hands-on” angehen? Ich war neugierig selbst zu sehen, was alles so an Arbeit in den Weinen steckte, die ich so spannend fand.

Bei der Suche nach einem passenden Weingut achtete ich hauptsächlich auf drei Aspekte. 1. Hatte ich von dem Weingut schon mal einen Wein getrunken, der mir gefallen hatte, 2. Wurden die Weinberge ökologisch bewirtschaftet, und 3. Konnte ich während des Praktikums entweder vor Ort untergebracht werden oder war dort in der Nähe eine Stadt, in der ich mir sonst eine temporäre Bleibe suchen konnte. So kam ich letztendlich auf das Weingut Ökonomierat Rebholz in Siebeldingen in der Südpfalz. Ich wusste, dass das ein großer Name in der deutschen Weinwelt war und dass sie angeblich regelmäßig mit die besten Großen Gewächse erzeugten. Außerdem hatten sie einige Jahre zuvor auf biodynamischen Weinbau umgestellt. Das war zwar für mich kein unbedingtes Kriterium aber trotzdem sehr spannend.

Zwei Rebholz Weine hatte ich bis dahin probiert. Einer war der 19er Gutsriesling, der mir, wie grundsätzlich die meisten Gutsrieslinge, gar nicht mal so sehr gefiel. Der andere hingegen war der 19er Gutsgrauburgunder. Der war in diesem Jahr nämlich quasi lachsfarben und insgesamt so viel spannender als der Großteil der Grauburgunder, die ich vorher probiert hatte. Ihr seht, ich hatte wirklich noch nicht viel Plan von irgendwas :).

So kam es also, dass ich im Mai 2021 für zwei Monate nach Landau in eine Studenten-WG zog und jeden Morgen die zehn Minuten mit dem Auto nach Siebeldingen pendelte.

Perspektivwechsel

Es ging für mich also von jetzt an nicht mehr ums Wein trinken, sondern ums Wein machen. Wie viel Arbeit dahinter steckt, ist den meisten immer gar nicht so bewusst. Wer noch an das Märchen vom Winzer glaubt, der im Herbst seine Trauben erntet und sich den Rest des Jahres auf die faule Haut legt, der sollte mal zumindest ein paar Tage lang auf einem Weingut arbeiten.

Siebeldingen – Im Sonnenschein

An meinem ersten Arbeitstag war mein erster Auftrag morgens das Unkraut rund um die Riesling-Jungreben in der GG-Lage wegzumachen. Als ich abends völlig fertig kurz mit meiner Mutter telefonierte, sagte sie dazu nur: “Da musst du erst für in die Pfalz fahren, um mal was im Garten zu machen?”.

Bereits in der ersten Woche lernte ich alle möglichen Aufgaben kennen, die auf einen Winzer in dieser Phase des Jahres zukommen. Es war Anfang Mai des Jahres 2021. Der Austrieb hatte bereits etwas auf sich warten lassen, aber langsam aber sicher ging es los. Einer der Arbeitsschritte am Anfang war das Ausbrechen nach der Methode von Simonit & Sirch, genannt “Sanfter Rebschnitt”, über die auch so unfassbar viel falsches Halbwissen im Internet kursiert, dass ich eigentlich gerne mal einen Beitrag nur über das Thema machen wollen würde. Familie Rebholz hatte sich im Jahr davor dazu entschlossen darauf umzustellen, weil sie sich davon viel für die Gesundheit ihrer Rebstöcke versprachen. Das Ausbrechen an sich ist ja erstmal nur das Entfernen von Doppeltrieben bzw. Trieben an falschen Stellen, wie z.B. am Stamm. Wenn man diesen Schritt in Kombination mit einem veränderten Winterschnitt kombiniert, dann entsteht weniger Totholz das anfällig für Pilzbefall ist. Somit kann man auf diese Weise die Lebensdauer der Reben verlängern. Und auf alte Reben sind inzwischen fast alle scharf.

Der Blick über die Pergola-Anlage in der Albersweiler Latt.

Innerhalb dieser zwei Monate bekam ich aber eigentlich in allen Bereichen viele Einblicke. Abfüllen, Etikettieren, Bestellungen packen, Reben nachpflanzen, Tanks und Fässer sauber machen, Laubwandarbeit, usw. Außerdem konnte ich eigentlich immer zu allem viele Fragen stellen, was ich auch gemacht und es vielleicht gelegentlich etwas übertrieben habe. Aber ich war so sehr im Modus wie ein Schwamm alles an Informationen und Erfahrung aufzusaugen, dass ich wahrscheinlich manchmal ein nerviger Praktikant war.

Aha-Erlebnisse

Über Terroir und was dazu und was nicht dazu gehört lässt sich lange streiten. Von allen Definitionen, die ich über die letzten Jahre gehört habe, gefällt mir Philipp Wittmanns simple Idee von einem Wein mit einer klaren Herkunft am besten. Den Stolz auf einen besonders guten Fleck Erde, der über Jahrzehnte hinweg eigenständige Weine hervorbringt (wenn man ihn lässt) kann ich inzwischen sehr gut verstehen. Es gibt zahlreiche Weingüter in Deutschland die unterschiedliche Bodengeologien in unmittelbarer Nähe haben, auf denen sie Wein anbauen können. Rund um Siebeldingen ist das allerdings teilweise schon krass, wie schnell diese Unterschiede auftreten. Wenn man links und rechts der Landstraße jeweils Muschelkalk und Buntsandstein, ein Dorf weiter in Birkweiler rotliegenden Schiefer und drei Dörfer weiter in Burrweiler grauen Devonschiefer findet, dann ist das schon echt etwas Besonderes. Man darf nur nicht auf die Idee kommen, rein auf Basis des Gesteins im Boden, die Weine mehr mit denen aus anderen Anbaugebieten aber mit ähnlichem Terroir zu vergleichen als mit anderen Pfälzern. Das Große Gewächs aus dem Burrweiler Schäwer schmeckt nicht wie ein Moselriesling, nur weil beide auf grauem Schiefer wachsen.

Der Birkweiler Kastanienbusch – ein sehr besonderer Ort.

Was aber unglaublich Spaß macht, ist es, die Weine in leicht angereiftem Zustand mal nebeneinander zu verkosten. Der frisch gefüllte Jahrgang ist meist noch zu verschlossen, um diese Unterschiede klar und deutlich zu zeigen. Wer die Weine schon seit Ewigkeiten begleitet, der wird auch sicher das in diesem jugendlichen Stadium hinkriegen, aber ich konnte das nicht. Aber ein 1-2 Jahre länger gereifter Kastanienbusch neben den anderen Großen Gewächsen ist tatsächlich extrem eindeutig zu erkennen. Das Gleiche funktioniert auch mit den vier verschiedenen Ortsweinen, die dieselben Bodengeologien mit auf dem Etikett tragen.

Erfahrungen

Die Arbeit auf einem Weingut ist wirklich etwas völlig anderes als so für sich zu studieren. Man ist auch dort zwar von Freunden umgeben, aber eigentlich arbeitet man selten auf dasselbe hinaus. In einem Betrieb gibt es natürlich schon eine Arbeitsteilung, weil jeder etwas anderes gut kann, aber das Ziel ist das gleiche: Spitzenwein zu machen. Jedem wird viel abverlangt, aber man bekommt auch viel zurück. Als Praktikant dauert es naturgemäß etwas Zeit bis man in einem solchen eingespielten Team dazugehört, aber irgendwann ist man doch ein bisschen Teil von etwas Größerem. Wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum ich was Rebholz-Weine angeht, nie so 100% objektiv sein werde ;).

Der Wein

Im Blog gibt’s heute einen Wein, der mir persönlich viel bedeutet, denn er stammt aus der Lage, in der ich an meinem ersten Tag gearbeitet habe. Ökonomierat Rebholz Riesling Siebeldingen Im Sonnenschein GG 2021. Das Jahr 2021 war ein sehr komisches. Nicht nur war es ein zur Abwechslung mal eher kühles, wenn man es mit 18,19,20 und auch 22 vergleicht, es war auch ein extrem regenreiches. Für biologisch und biodynamisch arbeitende Betriebe sind so regelmäßige Regenfälle ein echtes Problem, denn sie waschen den Netzschwefel bzw. das Kupfersulfat ab, was die Reben gegen den hohen Peronospora-Druck schützt. Also muss in solchen Jahren deutlich häufiger mit dem Traktor in die Weinberge gefahren werden, was auf Dauer die Böden verdichtet. Das ist schlecht für kleine Organismen im Boden, außerdem sickert dadurch der Regen schlechter ab.

Andererseits hat eine langsamere Vegetationsperiode auch Vorteile, insbesondere was den Reifeverlauf des Weins angeht. Man erhofft sich durch den Mangel an Hitzespitzen einen “klassischeren”, schlankeren, säurebetonten Stil. Dieser kann jung teilweise schwer zugänglich sein, resultiert aber stattdessen in einer langsameren Reifung auf der Flasche und damit in einem langlebigeren Wein. Beispiele für vergleichbare Jahrgänge wären wahrscheinlich 2002, 2004, 2010 oder 2013, von denen sich manche als extrem gute Jahrgänge herausgestellt haben. Auf einen solchen Jahrgang hofft man auch für 2021. Ob sich das bewahrheitet, wird die Zeit zeigen, aber ich wollte diesen 2021er trotzdem hier im Blog präsentieren, obwohl er wirklich noch viele Jahre von der Trinkreife entfernt ist.

Im Sonnenschein klingt als Lagenname nicht nur besonders schön, sondern erzeugt auch wahnsinnig tolle Weine. Genau wie der Mandelberg in Birkweiler dominiert hier der Muschelkalk. Typisch für die Weine von diesen Böden sind ihre kreidige, rauchige Aromatik. Allerdings ist im direkten Vergleich der Im Sonnenschein der filigranere Wein (Anmerkung: Direkt vergleichbar sind nur die Weißburgunder-GGs, da im Mandelberg kein Riesling wächst).

Im Glas

Am ersten Tag zeigt sich der Wein sehr zitrisch, kreidig und auch etwas grün. Das Rauchige kommt erst mit mehr Luft durch und auch die Frucht verschiebt sich vom sehr hellen zitrischen ein wenig in Richtung Litschi. Das erinnert kurz an den 21er Nußbien, der vor ein paar Monaten im Blog war, aber hier würde man definitiv nicht auf die Idee kommen, dass das Sauvignon wär. Am Gaumen ist das wirklich saftig, die Säure trägt diesen sehr filigranen Wein ohne Probleme, wirkt aber auf mich nicht zu stark für einen 21er. Nach hinten raus hallt der Wein wirklich lange nach, aber ganz dezent und trotzdem zupackend. Was die grundsätzliche Reife angeht, weiß ich nicht, ob z.B. 2013 jung auch so geschmeckt hat oder ob hier grundsätzlich mit dem Reifezeitpunkt gespielt wurde, um jegliche Überreife zu vermeiden. Um das zu beurteilen, fehlt mir einfach die langjährige Erfahrung. Dafür habe ich gerade zu Beginn meiner Weinreise zu viele sehr warme Jahrgänge gehabt.

Mit mehr Luft verstärkt sich diese kühle, ätherische Art, die einfach sehr eigenständig ist und sich meiner Meinung nach schwer mit anderen Pfälzern vergleichen lässt. Obwohl dieser Im Sonnenschein natürlich, was die Komplexität angeht, ganz weit oben bei den GGs mitspielt, würde ich ihn tendenziell trotzdem als einen leisen Wein beschreiben. Gerade im direkten Vergleich zum Kastanienbusch zeigt sich ganz deutlich, dass Herkunft einen Unterschied macht, manchmal sogar einen drastischen. Ich freu’ mich auf meine zweite Flasche in einigen Jahren. (€€€€)

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