Ende letzten Jahres war ich mit einem Freund auf der VDP-Herbstpräsentation in Köln. Für wenig Geld konnte man dort sehr viele Weine eines breiten Querschnitts von VDP-Weingütern probieren. Wir haben zwar dort den Altersdurchschnitt gefühlt halbiert, aber das war uns egal. An einem Montagnachmittag Ende November haben die meisten berufstätigen Menschen eben noch nicht frei und können sich mit Diel Cuvée Mo volllaufen lassen (ein mies guter Schaumwein btw!). Von Knipser über Wirsching bis hin zu Salwey war alles da. Am nachhaltigsten blieb mir aber ein ganz bestimmter Wein im Kopf von einem Weingut, was ich bis dato überhaupt nicht auf dem Zettel hatte: Drautz-Able aus Heilbronn.

Schwäbisches Erwachen
Dadurch, dass Württemberg sich in den letzten Jahren deutlich präsenter in der Außendarstellung gibt, sind einige Betriebe aus dem Ländle endlich auch in der Bubble angekommen. Insbesondere die großen Lemberger-GGs, Riesling aus dem Remstal, aber vor allem alternative Naturwein-Trollinger tauchen immer öfter in den Flaschenparaden der Winestagram-Posse auf. Mein persönlicher Favorit waren bisher eigentlich immer eher Württemberger Sauvignon Blancs, aber seit dieser Probe bin ich um eine wichtige Erkenntnis reicher: In Heilbronn wird grandios guter Orangewine gemacht!
„Machen Sie sich keine Sorgen …
… wir machen nur trinkbaren Orangewine“. So kündigt die Senior-Chefin Monika Drautz ihren M.Th. 18 an. Einen Orange-Müller-Thurgau, von Hand gelesen, auf der Maische vergoren und in gebrauchten Barriques ausgebaut. Ich muss schmunzeln, denn der Großteil des Publikum auf der Veranstaltung sieht definitiv so aus, als müsste es diesen Satz erst zu hören bekommen, damit man sich von dem Wein einschenken ließe.
Wo sie recht hat, hat sie recht: Mann, ist das ein genialer Orangewine. Kein bisschen sperrig, mit einer schönen, leicht belegten Frucht, einem unfassbar animierenden Gerbstoff, der einem den Glasinhalt im Nullkommanix die Kehle herunterspült. Ich bin so baff, dass ich mich tatsächlich traue und Frau Drautz auf ein Muster für den Blog anspreche. Ich bin nämlich überzeugt, dass man die Orangewines dieses Weinguts auf dem Zettel haben sollte.

Die Weine (Weingärtnerei Carl Drautz & Kinder)
Die Weine werden nicht als Weine des VDP-Weinguts Drautz-Able vermarktet, sondern tragen den Namen „Weingärtnerei Carl Drautz & Kinder“. Winzer Markus Drautz bezeichnet dies als seine Spielwiese, wo er sich ausprobieren kann. Er ist seit 2014 federführend ins Weingut der Eltern eingestiegen und demonstriert eindrucksvoll, dass Württemberg mehr zu bieten hat als Trollinger und Lemberger. Für alle drei Weine gilt: 2018 ist der aktuelle Jahrgang.
M.Th. 2018
Immer mehr Weingüter beschäftigen sich mit Maischegärung beim Weißwein, Minimalintervention oder alternativen Ausbaumethoden. Hauptsache nicht das böse Wort „Naturwein“ sagen! Sonst beschwört man die offenbar unvermeidliche Begriffsdebatte, welche sich nach dem Vorbild „Murmeltiertag“, in einer Endlosschleife bis Sankt Nimmerlein, immer wieder neu aufrollen lässt. Hoch lebe der Schachtelsatz! Diese „neuen“ Weinstile gelingen manchen Weingütern besser als anderen. Gefühlt hängt das auch davon ab, wie derb man seinen Orangewine mag. In einem der letzten Posts habe ich über Werlitsch geschrieben und wie sehr man in der ganzen Naturweinthematik drin sein muss, um diese Aromenkombinationen gutfinden zu können. Den Umweg ersparen die Drautz-Ables uns glücklicherweise.

Diesen Müller-Thurgau würde ich sogar den Leuten einschenken, die sonst eher in der Grauburgunder- (mit 6g RZ) oder Luganaecke unterwegs sind. Ich würde sogar behaupten, dass man das fast allen Weintrinkenden einmal sturzdekantiert im schwarzen Glas präsentieren könnte und der Großteil käme nicht auf Orangewine und würde das Glas sehr schnell leeren. Wenn man meine Verkostungsnotiz liest, käme man da aber wahrscheinlich niemals drauf:
Petrol, Birne, Mostapfel, Cidre, aber alles soo sexy; am Gaumen herb und saftig zugleich; nach hinten raus dominiert die Säure und die Frucht; im Mittelteil strukturiert ein ultra-feiner Gerbstoff die saftige Frucht; zwei Tage offen: Frucht wird klarer und geschliffener; bleibt eindeutig gelbfruchtig, weniger Petrol dafür etwas Reifenabrieb, dahinter wird es heller und floraler; am Gaumen etwas weniger süßfruchtig (herber); Abgang deutlich phenolischer; ein paar Tage offen geht’s aromatisch ein bisschen in Richtung Popcorn.
11.5% Alkohol
Das Weingut selbst bezeichnet den Wein übrigens als „Federleichten Tempobolzer“. Ich bin begeistert. 😉 (€€€)
M.O. 2018

Durch das Prädikat „Imposanter Selbstverdunster“ ist dieser Rote Muskateller ziemlich gut beschrieben, obwohl er beim Trinkfluss nicht ganz mit seinem Bruder Müller-Thurgau mithalten kann. Aber auch darüber hinaus ist das ein unheimlich spannender und komplexer Wein. Trotz der Machart ist er über die Rosenholzigkeit ganz klar als Muskateller zu erkennen. Dahinter fächert er dann aber in eine Richtung auf, die sich besser durch Sprachbilder, als durch konkrete Weinsprache beschreiben lässt. Natürlich hätte auch ich genug Assoziationen und Begriffe im Kopf, mit denen ich diesen Wein beschreiben könnte, aber meine Freundin ist viel besser als ich, wenn es darum geht poetische Sprachbilder zu finden. Daher gebührt ihr die Ehre den Wein zu beschreiben:
Wie die Alpen in einem Glas. Auf der Grenze zwischen Österreich und dem bayrischen Allgäu. Wie wandern durch Kamille und Gänseblümchen. Von Tautropfen bedeckter Klee kleidet die weichen Hügel ein. Nebel zwischen den Grashalmen, in Blickweite ein rauschender Wasserfall. Kaltes, kristallklares Bergwasser stürzt die nassen Steine hinab und schlängelt sich als kleiner Bach ins Tal hinunter, vorbei an leuchtendem Maigrün. Die Tannen stehlen ein paar Tropfen. Würzige Luft weckt meine Nase auf, der Morgentau legt sich auf meinem Nacken nieder. Noten von Harz und Zitrusfrüchten, frisch aufgeschnittenes Obst, süß und sauer. In den Blumenwiesen tuscheln die Bienen, im Schatten von Spitzwegerich und Beifuß verstecken sich rote Käfer. Der Wind zieht weiter durch den Morgen, von einer Bergspitze zur nächsten. Die Welt wacht auf. Frühling.
Ich wette, ein schlecht gelaunter Mittsechziger mit einem großen Burgunderkeller würde auf andere Worte kommen. Daran kann auch unser kleines Liebeslied auf diese Weine nichts ändern. Wer aber in 2024 immer noch davon ausgeht, dass Orangewine ein kurzfristiger Trend für Prenzlberger Naturwein-Hipster ist, der sollte vielleicht mal damit anfangen seinen Horizont zu erweitern. Und wenn nicht? Dann bleibt mehr für mich. (€€€)
S.O. 2018
Ich weiß leider nicht, was der Sauvignon Blanc verbrochen hat, denn er hat keinen lustigen Namen verpasst bekommen. Das liegt vielleicht daran, dass er von den drei Weinen noch am „typischsten“ für Orangewine steht. Die Trauben werden von Hand selektiv gelesen, entrappt, auf der Maische vergoren und der Most dann für über einem Jahr auf der Feinhefe im Barrique gelassen. Keine Schönung, keine Filtration. Das bedeutet, dass (übrigens bei allen drei Weinen) immer ordentlich Trub aufgewirbelt wird, wenn man die Flasche mal ein bisschen bewegt und dank des Klarglases sieht man das auch hervorragend.

Der Wein ist eine absolute Gewürzbombe – aber in unanstrengend. Bei diesem hier hat man das erste Mal so ein Gefühl von „Ich trinke Orangewine“. Akazienhonig, kräftig, würzig und nicht ganz schwach im Alkohol (14%). Das gibt ihm zwar viel Kraft, aber das Phenolgerüst lässt ihn nicht fett und plump werden. Darüber kommt dann eine fast süße Frucht und eine deutlich oxidative Art wie beim Sherry. Auch einen ganz deutlichen Bitterton findet man sofort. Dieser bewegt sich irgendwo zwischen Grapefruit und Pomelo und fällt für mich nur positiv auf. Backgewürze & Orangenschale. In der Nase erinnert die fast hellrote Frucht ein bisschen an die leichtfüßige, florale Art von (Modernisten-) Nebbiolo. Ich find‘ das Teil unglaublich gut! (€€€)
Offenlegung: Ich habe die drei Weine auf Anfrage als Muster zugeschickt bekommen.