„Das schmeckt doch gar nicht wie Riesling“ oder „So hat Riesling zu schmecken“ sind Aussagen, die man immer mal wieder hört. Das regt mich im ersten Moment meistens auf. Nicht nur angesichts der klimatischen Veränderungen, die der Klimawandel so mit sich bringt, sind diese Aussagen über Typizität meiner Meinung nach ein Teil der Kommunikation über Wein, von der man sich langsam mal verabschieden darf … jedenfalls bis man Weine mal blind probiert.
Erwartungshaltungen anpassen
Je unterschiedlicher die Jahrgänge werden, je mehr unterschiedliche Variationen beim Ausbau die Winzer haben, je mehr Märkte man sich erschließt, desto seltener findet man vielleicht den einen Prototyp-Riesling (oder Silvaner oder Grauburgunder etc. pp.). Gerade in Blindproben verwirrt das erstmal ein bisschen. Ich bin z.B. ca. seit einem Jahr extrem alarmiert, wenn ich einen Weißwein blind im Glas habe und dieser die Kombination aus reifer Frucht, erhöhter Säure, Petrol und einem leichten bis aufdringlichen Bitterton im Abgang hat, weil ich immer befürchte, dass das mal wieder ein schlecht gereifter 18er-Riesling sein könnte. Eine leichte bis mittelschwere Verwirrung auf mehreren Ebenen hat auch der heutige Wein ausgelöst.
Der Wein
Heute geht es um den Riesling Ruppertsberger Nussbien 2021 vom Weingut von Winning. 2009 ging unter der Leitung von Stephan Attmann das Weingut Dr. Deinhard in „von Winning“ über. Dies geschah im Rahmen der Refusionierung der Weingüter Dr. Deinhard, Bassermann-Jordan und von Buhl durch den Unternehmer Achim Niederberger. Attmann prägt seitdem dort einen eher unkonventionellen Weinstil, der sehr fokussiert auf den Ausbau der Weine im Holz ist. Was seiner Philosophie nach den Weinen einfach breitere Schultern und eine gewisse Noblesse geben soll, wird von manchen Weintrinkern hier und da mal als „Limo mit Sägespäne“ bezeichnet. Man könnte behaupten, dass die Weine von von Winning polarisieren, denn obwohl dieser untypische Ausbau definitiv nicht nur Fans hat, gibt es trotzdem sehr viele Menschen, die diese „avantgardistische“ Interpretation des Rieslings sehr mögen.
Ich bin damals während meiner Zeit in der Pfalz (von der ich in den nächsten Beiträgen berichten werde) erstmals mit den Weinen in Kontakt gekommen. An einem ruhigen Wochenende bin ich also mal rüber nach Deidesheim gefahren und habe einen Großteil der Kollektion vor Ort probiert. Am Ende hatte ich im Bereich Riesling 2020 die gesamten Gutsweine, Ortsweine und Ersten Lagen durch + ein 18er-Pechstein GG, welches als einziges noch vor Ort verfügbar war. Während der Pechstein vor lauter Kraft kaum noch gehen konnte – ehrlicherweise muss ich aber gestehen, dass ich das damals ziemlich grandios fand – unterschieden sich die Ersten Lagen sehr dramatisch. Da gab es Weine, die vom Ausbau im Holz schwer gezeichnet waren und neben einer hellen Frucht und einer prägnanten Säure noch ganz viel Leder, Tabak und Zigarrenkiste hatten. Bei anderen war das Holz eher im Hintergrund und gab den Weinen doch eher eine weitere aromatische Ebene, die aber trotzdem gut eingebunden war. Und bei nochmal anderen konnte ich den Begriff „Limo mit Sägespäne“ leider gut nachvollziehen. Da standen Säure und leichte Restsüße dann doch einfach zu weit neben dem spürbaren Neuholzanteil. Im Bereich Sauvignon Blanc sah das ganz anders aus. Da hinterließ mich der Sauvignon Blanc I sehr positiv überrascht und beim „500“ haute es mich dann voll aus den Socken.
Der Eindruck, den ich durch diesen Besuch und durch ein paar weitere Blindproben mit von Winning-Weinen bekommen hatte war dieser: Hier liegt Genie und Wahnsinn ziemlich nah beieinander. Blind kaufen, ohne den Wein vorher probiert zu haben … schwierig. Da man aber immer mal wieder seine Vorurteile überprüfen sollte, habe ich vor ein paar Wochen nochmal blind eine Riesling Erste Lage aus 2021 gekauft. Ich habe dabei den Ruppertsberger Nussbien genommen, da er von den noch verfügbaren Ersten Lagen der mit dem niedrigsten Restzuckergehalt war. Ich habe gehofft, dass ich dadurch das Risiko senke, eine Limo mit Sägespäne zu bekommen. Die Rechnung ging auf.
Im Glas
Erstes Reinriechen, frisch geöffnet: Ah, herrlich. Guter Riesling mit etwas Neuholz. Es funktioniert zwar nicht immer, aber wenn, dann mag ich das häufig sehr. Als ich dann aber anfing, einer nicht weinaffinen Person meine Eindrücke von diesem Wein zu beschreiben, stellte ich schnell fest, dass ich hier eigentlich nicht wirklich einen Riesling beschrieb. Leicht grasig, eher exotische Frucht, hohe Säure … das klingt auch jetzt zwei Wochen später immer noch mehr nach Sauvignon Blanc als nach Riesling. Am ersten Abend hab ich das dann aber erstmal nicht weiter hinterfragt und einfach ein bis zwei Gläser genossen.
Spätestens am zweiten Abend aber wurde ich dann stutzig. Die Nacht im Kühlschrank hatte dem Wein irgendwie nicht gutgetan. Nicht nur war die Grasigkeit noch stärker geworden, sondern eigentlich war auch der Eindruck vom spürbaren Neuholz völlig verschwunden. Im Nachhinein bin ich inzwischen fast überzeugt, dass ich da sehr meiner Autosuggestion aufgesessen bin. Ich habe „von Winning“ gelesen, automatisch gedacht: „Holz“ und habe dann auf Krampf in diesem Wein danach gesucht. Jedenfalls habe ich völlig verdattert den Wein wieder zurück in den Kühlschrank getan.
Am dritten Abend passiert dann etwas noch seltsameres. Der Wein hat sich irgendwie gesammelt. Er war zwar gefühlt immer noch näher an einem guten Sauvignon Blanc, aber jetzt kam endlich auch mal die typische Pfälzer Art des Rieslings durch. Auf einmal ist da diese Kernigkeit, die ich damals als „Pfälzer Barock“ kennengelernt hatte.
Am vierten Abend habe ich ihn einem Weinfreund blind eingeschenkt. Seine Einschätzung: Sauvignon Blanc. Da war ich irgendwie etwas erleichtert und fühlte mich nicht mehr so ganz als Depp.
Gedanken
Der Wein hat ein paar Überlegungen angetreten.
- Haben die bei von Winning den Neuholzanteil bei den Ersten Lagen heruntergefahren?
- Ist es eigentlich relevant, ob ich diesen Wein für einen Sauvignon Blanc oder für einen Riesling halte? Am Ende gefiel er mir doch als Wein sehr gut …
Zu 2. habe ich noch kein wirklich zufriedenstellendes Fazit gefunden. Da muss ich glaube ich länger drüber grübeln. Zu 1. hingegen habe ich das gemacht, was man in so einer Situation tun sollte und habe eine Mail an das Weingut geschrieben. Auf die bekam ich dann recht schnell auch eine Antwort. Diese besagt quasi folgendes:
Die Ersten Lagen werden in 2500l Fässern ausgebaut. Diese sind inzwischen sieben Jahre alt – geben also nicht mehr viel Geschmack ab. Da der Jahrgang 2020 aber mengenmäßig sehr gut war, mussten sie vereinzelt auf andere, neuere Fässer ausweichen. Das erklärt auch sehr gut meinen Eindruck damals auf dem Weingut. Darüber hinaus verwiesen sie darauf, dass auch die klimatischen Bedingungen des Jahrgangs auf Frucht und Säure einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Holzes geben können. Es wird in der Hinsicht bei von Winning auch immer unterschiedlich stark ausgeprägte Jahrgänge geben, was den Holzanteil angeht, denn sie kaufen in jedem Jahr neue Fässer. Manchmal mehr, manchmal weniger.
Auch wenn das viel erklärt und ein bisschen Kontext gibt, bleibe ich wahrscheinlich doch bei meiner Einstellung zu den Rieslingen des Weinguts: Schwierig blind zu kaufen – lieber probieren. Dann hat man eine Chance auf großen Stoff. (€€)