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€€€ Meinung Weintagebuch

Von Basis und Überbau

Bevor demnächst der letzte Beitrag des Jahres mit ein bisschen Bilanz, Rück- bzw. Ausblick und natürlich meinen Lieblingsweinen des Jahres 2023 kommt, möchte ich heute nochmal ganz regulär einen Wein vorstellen. Manch einem wird er bereits bekannt sein, aber dieser Wein ist so rar, dass ihn sicher noch nicht alle von euch getrunken haben werden.

Der Wein

Die Rede ist vom Kapital 2019 aus der Reihe Marx is Muss vom Weingut Marx aus Windesheim an der Nahe. Während die Nahe eigentlich hauptsächlich Riesling-Land ist, wird in Windesheim vor allem Wert auf die Burgunder gelegt. Dieser Wein ist in vieler Hinsicht einzigartig in Deutschland. Gewachsen im Windesheimer Rosenberg auf tiefgründigen Sandböden, am 01. Oktober 2019 bei 100 Oechsle geerntet, über drei Wochen lang klassisch mit einem Drittel Rappen auf der Maische vergoren, 30 Monate im neuen Barrique ausgebaut und anschließend 24 Monate auf der Flasche gelagert. Da der Wein auf 320 Flaschen limitiert ist, gibt es auch nur ein einziges Fass. Die finale Füllung war Ende August 2023, was bedeutet, dass das hier der aktuelle Jahrgang ist.

Falls einer fragt: Nein, der Wein ist kein Bekenntnis zu Karl Marx’ Theorien, sondern eine Hommage an seine Liebe zum Wein.

Im Glas

Einerseits habe ich den Wein ausgesucht, weil ich unter anderem als Student der Politikwissenschaften einen gewissen Draht zum Namen Marx habe. Aber andererseits hat der Wein darüber hinaus auch etwas, das ich bisher noch kaum in deutschen Spätburgundern entdeckt habe. Der Wein macht nämlich an den Stellen alles richtig, an denen u.a. andere deutsche Spätburgunder gerne scheitern.

Gerade innerhalb der deutschen fine wine-bubble gibt es die sehr verbreitete Einstellung “Frucht ist Kitsch!”. Gepaart mit einer teilweise fragwürdigen Huldigung gewisser burgundischer Vorbilder mit einem Hang zur leichten Unreife bei Pinots seitens der deutschen Spitzenwinzer, ergibt das aktuell öfters Spätburgunder denen einfach das Gesicht fehlt. Getarnt unter dem Anspruch leichtere und frischere Weine mit mehr Finesse zu keltern, entstehen häufig Weine, die sich gerade in der Jugend extrem uncharmant zeigen und in der Reife meist ertragbarer, aber nicht tiefgründiger werden.

Während ich vor ein paar Wochen noch über Claude Riffaults eigenartig überreife Interpretation von Pinot gerätselt habe, schafft die Familie Marx das, was ich mir im Moment häufiger beim Pinot wünsche: volle Reife mit genug Phenolik über Rappen und Holz. Der Wein hat 14% Alkohol und du würdest blind im Leben nicht darauf kommen. Einem guten Freund, der Pinot wirklich über alles liebt, habe ich das blind eingeschenkt und er landete nach etwas Zeit zum Nachdenken überzeugt auf Blaufränkisch. Für mich war das völlig nachvollziehbar und fast logisch, dass er auf diese Assoziation kam. Denn in Deutschland macht kaum noch einer Pinot auf diese Art und Weise und so viele Pinots aus dem Burgund in dieser Stilistik haben wir als Studenten auch noch nicht getrunken.

Aber mal langsam. Obwohl er sich mit einmal Sturzdekantieren nochmal offener zeigt, lässt der Kapital auch schon frisch geöffnet wenig Zweifel, dass das gleich was ziemlich Grandioses geben könnte. In der Nase zeigt sich die Frucht dunkelrot und insgesamt eher leise im Hintergrund (Ist Frucht vielleicht doch Kitsch?). Dunkle Kirsche, extrem feines Holz, Zimt, Nelken und sogar ein bisschen Muskat. Am Gaumen dann strukturiert und saftig zugleich. Die teilweise typische Pinot-Aromatik von rohem Fleisch finde ich hier weniger, aber insgesamt ist das schon wirklich erdig, Waldboden, Pilze, … das ganze “sous-bois”-Zeug halt. Der Wein hat meiner Einschätzung nach alle Anlagen für eine sehr gute Reife, aber ich trink’ das auch jetzt schon unglaublich gerne.

Wer sich schon mal mit marxistischer Staatstheorie auseinandergesetzt hat, der versteht vielleicht die kleine Anspielung im Titel, alle anderen macht es vielleicht ein bisschen neugierig auf die Hintergründe. Dieser Pinot ist jedenfalls absolut nicht Basis, sondern kann meiner Meinung nach gerne als Orientierung für andere im Überbau fungieren ;).

Wem das Laune gemacht hat, der sollte sich vermutlich beeilen, denn noch gibt’s den Wein ab Weingut. Ein absolut wunderbarer Begleiter über die Weihnachtstage. (€€€)

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